Sich nicht zu erinnern würde heißen, vor der Vergangenheit zu fliehen, und könnte bedeuten, Gegenwart und Zukunft zu verspielen, sagte der Bundeskanzler zum Gedenkjahr. Doch die Erinnerung scheint zumindest bei manchen Politikern getrübt. Unter dieser Wahrnehmungsstörung leiden aber keineswegs nur Angehörige aus dem rechten Lager. Zwei Fälle aus Ober- und Niederösterreich zeigen, dass auch SPÖ und ÖVP lieber die Vergangenheit ruhen lassen wollen, als sie zu durchleuchten. Nur so lässt sich erklären, dass in Lambach die Malerin Margarethe von Pausinger, die nachweislich NSDAP-Mitglied war und einen Regimekritiker denunziert hat, zur Ehrenbürgerin mit eigener Straße ernannt wird. Oder aber, dass in Langenlois eine Volksschule nach einem Altbürgermeister benannt wird, der SS-Mann war. Jene Leute, die diese Fälle an die Öffentlichkeit gebracht haben, erhalten nämlich keineswegs Dank von den Gemeindevätern. Im Gegenteil, sie werden aufgefordert, ihren Mund zu halten. Uns steht es nicht zu, über eine angeblich dunkle Vergangenheit zu urteilen, meint etwa der ÖVP-Bürgermeister in Langenlois. Durch "Kriegsrecherchen" das Image der Weinstadt neuerlich zu schädigen - war sie doch durch die Wehrsportübungen von Schimanek junior und Gottfried Küssel in Schlagzeilen -, wolle man nicht zulassen. Also wird ein weiteres braunes Kapitel aus der Vergangenheit lieber totgeschwiegen als beseitigt. Im oberösterreichischen Lambach haben rote und schwarze Gemeinderäte beschlossen, lieber Gras über die Sache wachsen zu lassen. Aussitzen oder Totschweigen: Diese als typisch österreichisch geltenden Eigenschaften prägen hier den Umgang mit der Vergangenheit und nicht ein Erinnern mit allen Konsequenzen - auch in diesem Gedenkjahr. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.07.2005)