Martin Kusej stellt 2006 im Salzburger Festspielbezirk die Frage nach der Zukunft unserer von Gewalt und Terrorismus erschütterten Gesellschaf-ten: "Wir sollten uns um Psychologie kümmern, nicht um die politische Indienstnahme von Ideologien."

Foto: STANDARD/Fischer
Im Gespräch mit Ronald Pohl sinniert er über Terror und Generationsängste.


STANDARD: Der Slogan, der über Ihrem Schauspielprogramm steht, "Wir, die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation", verliert aktuell alles Thesenhafte. Die Gewalt wütet auch im Herzen der westlichen Welt. Wie bitter ist es, mit einer solchen Überschrift plötzlich als Empiriker dazustehen? Kusej: Man ist ja nicht mit Freude erfüllt, wenn man feststellt: Eine Formulierung, die aus tiefstem Herzen theoretisch-rhetorisch gemeint war, erfüllt sich auch. Damit würde niemand spekulieren wollen. Tatsache ist, dass besonders mit den Anschlägen in London sich die Welt zum wiederholten Male auf den Kopf stellt. Jede Kategorisierung, was jetzt "Zivilisation" ist und was "Barbarei", wird hinfällig. STANDARD: Sie meinen damit den Umstand, dass die Täter etwa in Großbritannien im Herzen des Landes aufgezogen und "sozialisiert" wurden? Kusej: Ja. Es ist mein Credo seit 2001, dass ich in der Kunst nicht unmittelbar auf so etwas reagieren kann - sondern sie muss sich seit jeher mit Zuständen der Unsicherheit beschäftigen. Nur ist mir sogar diese Spielerei zu blöd. Ich erkenne ganz klar, woher die Bedrohung, woher diese Produktion von Feindbildern kommt. Das ist mir aber, ehrlich gesagt, egal. STANDARD: Es ist eben keine Frage der Topografie? Kusej: Korrekt. Natürlich liest und studiert man diverse Erklärungsversuche: Die interessantesten Thesen besagen ja, dass in den islamisch-arabischen Ländern mit den Feindbildern Amerika oder "Westen" etwas entsetzlich schief läuft. Die Gewaltbereitschaft hat damit überhaupt nichts zu tun. Man muss nur die Rücksichtslosigkeit betrachten, mit der die radikalen Muslime Opfer unter ihren Glaubensbrüdern in Kauf nehmen. Es wäre mir daher lieber, wir würden die Diskussion weniger "terroristisch" führen, sondern auf psychologische Bereiche überwechseln. STANDARD: In Grillparzers Königsdrama "König Ottokars Glück und Ende", das Sie inszenieren (Premiere am 8. August), findet etwa zur Mitte des Stücks zwischen Ottokar und Rudolf von Habsburg eine Gipfelkonferenz statt: Noch soll der Friede zwischen den beiden Kriegsparteien angebahnt werden. Rudolf stützt nun seine kaiserliche Argumentation ganz auf die gottgewollte Sendung seines Tuns. Das ist doch erst einmal knifflig? Kusej: Ich glaube mich zu erinnern, dass beim so genannten "Österreich-Konvent" ein christliches Glaubensbekenntnis in der Verfassung verankert werden sollte. Es ist also nicht absurd, über eine solche Dimension im Ottokar nachzudenken. Dazu haben wir den Komplex "Tod des Papstes/Neuwahl des Papstes" gerade erst erlebt. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich diese gottgegebene Legitimation seit Grillparzers Zeiten in Österreich konsequent fortgesetzt hat als Begründung von Herrschaft. Der Chef, der Führer hat eben immer recht. Das so erst einmal nicht zur Kenntnis zu nehmen in der Rezeption der Figur des Rudolf, ist mir ein wichtiges Anliegen. In der penetranten Beteuerung der Gottgegebenheit, ja fast des Gott-gleich-Seins, liegt im Grunde die Zwiespältigkeit dieser Figur. STANDARD: Ihr Vorgänger Jürgen Flimm hat oft über das Klima zwischen ihm und Intendant Peter Ruzicka geklagt: Erwirtschaftetes Geld würde ihm abgepresst. Wie beschreiben Sie die Zusammenarbeit? Kusej: Wir führen durchaus Diskussionen in ähnlicher Richtung, sind aber mittlerweile zu einem Resultat gelangt, mit dem ich mich gut vertreten fühle. STANDARD: Ist die Frist von zwei Salzburger Schauspielsaisonen Fluch oder Segen? Zyklisches Denken erübrigt sich einerseits - zum anderen könnte man sagen: "Dafür fackeln wir die Brennstäbe rascher ab!" Kusej: Genau so würde ich das sagen. Ich will mir gar nicht vorstellen, den Job über fünf oder sieben Jahre machen zu müssen. Ich krame in meiner sportlichen Erfahrung und sage: Ich muss erst die kurze Strecke gehen, um dann irgendwann die Marathondistanz zu schaffen. STANDARD: Letztere haben Sie aber unverwandt im Blick? Kusej: Nicht einmal das. Ich denke maximal mittelfristig. STANDARD: Die Frage der Direktorennachfolge am Wiener Burgtheater dürfte sich eher kurzfristiger stellen. Kusej: Wer sagt denn überhaupt, dass ich nach Österreich zurückkomme? Ich weiß jedenfalls, dass ich das Jahr 2008 frei halte. Ich feiere dann 20-jähriges "Dienstjubiläum" und werde in dem Jahr keine Inszenierung machen. STANDARD: Sie werden aber als Kandidat in Betracht gezogen. Wie anders lassen sich "Nettigkeiten" erklären, mit denen Sie jüngst von Peter Zadek oder Luc Bondy im Illustrierten-Smalltalk bedacht wurden? Kusej: Ich leiste stoisch meine Arbeit - und wer nur ein bisschen an der verlogenen Oberfläche kratzt, kommt drauf, dass das meiste, was so kolportiert wird, nicht stimmt. STANDARD: Die Bannflüche alter Regiemeister stören Sie nicht? Kusej: So möchte ich mich jedenfalls nie verhalten müssen! Bondys und Zadeks Meldungen führen sich ja von selbst ad absurdum, weil sie beide beteuern, sie kennten mich gar nicht. Das ist einfach sehr, sehr schlechter Stil. STANDARD: Beschreibt er nicht einfach einen längst fälligen Generationswechsel? Kusej: Mich interessieren die alten Säcke gar nicht mehr. Ich habe eher das Gefühl, selbst einer zu sein. Und darum kümmere ich mich um die heute 20-, 30-Jährigen. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.07.2005)