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Ein Gespenst geht um in Österreich: Das Gespenst des "freien Hochschulzugangs". Dabei wird, ganz landestypisch, eine wichtige Debatte mit eben soviel Inbrunst wie Inkompetenz geführt. Über die Eingangsbemerkung hinaus, dass die österreichische Politik der letzten 20 Jahre hier fraktionsübergreifend vieles verschlampt, verschleiert, verpfuscht hat, bleibt dieser Kommentar um der Sache willen frei von Schuldzuweisungen.

Zuallererst gilt es zwischen freiem Hochschulzugang und freier Wahl des Studienfachs zu unterscheiden. In Österreich herrscht seit nunmehr Jahrzehnten - primär völlig unabhängig von den Entwicklungen auf europäischer Ebene - eine Überlastung mancher Fächer, wie etwa Medizin. Einzelne, wie Psychologie oder Publizistik, wurden förmlich überrannt. Nüchtern betrachtet, gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen:

(a) Man stattet die betreffenden Fächer adäquat aus. Diesen Weg sind zum Beispiel kürzlich die Schweizer gegangen, um den freien Zugang zur Psychologie zu wahren. An der überlaufenen Uni Zürich wurden auf einen Schlag sieben (!) neue Lehrstühle für Psychologie plus Infrastruktur eingerichtet (die noch wesentlich überlaufenere Uni Wien verfügt insgesamt über acht). Eine zweite Erweiterungswelle ist geplant.

(b) Man limitiert den Zugang zu diesen Fächern. Diese in praktisch allen EU-Ländern betriebene Methode hat offensichtliche Nachteile; man will aber andererseits auch "keine Gesellschaft, die nur aus Ärzten besteht" (Hans Pechar).

Österreichischer Weg Keine Möglichkeit ist die in Österreich gepflogene Variante (c), grundsätzlich geeignete Studierende aus Überlastfächern über die Jahre zu vergraulen oder "hinauszuprüfen" (wie hinter vorgehaltener Hand empfohlen; nur um in der Pressekonferenz darauf den hohen Dropout zu beklagen). Von "freiem Zugang" kann in Fächern, in denen "Durchgfretten" offenbar als Qualifikationsmerkmal gesehen wird, jedenfalls keine Rede sein.

Entscheidet man sich für (b), so sollte man wissen, dass zur prognostischen Validität (Güte) von Aufnahme- und Eignungsverfahren umfangreiche Längsschnittstudien vorliegen (siehe zuletzt Heft 2/ 2005 der Psychologischen Rundschau). Vor diesbezüglicher Ignoranz scheint indes selbst der Vorsitzende des österreichischen Wissenschaftsrats, der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß, nicht gefeit (STANDARD, 16. 7. 2005). Schulnoten sind ein schlechter, aber immer noch der beste verfügbare Studienerfolgsprädiktor. Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Sie sind besser als Ein-Punkt-Testungen; allerdings ist Schule ein besonderes Biotop, in dem alles Mögliche passieren kann. Zudem ist es kaum denkbar, Schulnoten "ohne Vorwarnung" zum Hauptzulassungskriterium zu erheben.

Die von Mittelstraß gepriesenen Motivationsschreiben und Interviews jedoch sind hinsichtlich Fairness und Verfälschbarkeit hoch problematisch. Bei Motivationsschreiben ist unklar, von wem der Text stammt. Interviews sind teuer, aufwändig, wenig valide und begünstigen soziale Selektionseffekte (Vorteile für Bewerber "aus gutem Haus"). Sei's drum: Wenn Mittelstraß alljährlich bis zu 1000 (Wien) oder 300 (Klagenfurt) Psychologieanfänger interviewen möchte, schicken wir sie gerne vorbei.

Im Lichte des Spruches des Europäischen Gerichtshofs steht zu befürchten, dass sich die Wahl gar nicht stellt. Wie in einem luziden Leserbrief von Edgar Gusenbauer geäußert ("Fairer Wettbewerb?", STANDARD, 12. 7. ), sind wir nach aktuellem Recht letztlich dazu gezwungen, das (mit 2005/06 modifizierte) deutsche Zugangsverfahren zu kopieren. Jede substanzielle Abweichung davon bringt aufgrund der Landesgröße bis zu zehn deutsche auf einen österreichischen Kandidaten. Dänen, Griechen oder Finnen sind durch ihre Muttersprache gefeit; Belgier (gegenüber Franzosen) und Österreicher (gegenüber Deutschen) sind es nicht.

Wie damit umzugehen ist, und was jenseits fantastisch-elastischen Geschwafels über "Akademikerquoten" wirklich gesellschaftlich gewünscht ist - Bachelors, Magistri oder Doktoren, in welchem Fach, in welcher Zahl und zu welchen Bedingungen -, das sollte man beizeiten seriös und ideologiefrei erwägen. (DER STANDARD-Printausgabe, 25.7.2005)