Christian Thielemann schwärmt von den Wiener Philharmonikern: "Ich habe den Eindruck, die kenne ich seit 100 Jahren."

Foto: Arve Dinda

Thielemann dirigiert auch ab 28. Juli in Bayreuth Wagners "Tannhäuser". Der Dirigent im Gespräch mit Jörn Florian Fuchs .

STANDARD: Wie sieht sich der Dirigent Thielemann gegenüber dem Orchester: als Zuchtmeister oder als sein Diener?

Thielemann: Irgendwie kommt beides zusammen. Man muss erziehen, man muss dienen, aber man soll auch seine Meinung deutlich machen. Im Grunde aber denke ich, wir Dirigenten sind zunächst Handwerker. Wenn das Orchester merkt, dass wir das Stück beherrschen, dann machen die Musiker auch meistens mit. Dazu kommt natürlich die Chemiefrage. Es gibt ja den berühmten Spruch von Orchestermusikern: "So wie einer ans Pult kommt, wissen wir schon, ob's klappt." Das ist zwar überspitzt, aber es ist auch was dran.

STANDARD: Immer wieder werden Sie wegen Ihres Dirigierstils kritisiert, es fallen Begriffe wie "ausladende Gestik" oder "affektierter Personalstil". Und manchen gelten Sie zudem als "Preuße", der mit strengem Mittelscheitel sein Äußeres zu sehr in den Mittelpunkt stellt.

Thielemann: Das ist alles Quatsch. Mir ist es einfach wichtig, dass ich das mache, was mir musikalisch vorschwebt. Ich habe weder vor dem Spiegel geübt, noch meine Haare in einer gewissen Weise frisiert, um damit aufzufallen. Was die Gesten betrifft: Mir ist es gar nicht um so etwas wie Eleganz getan – wenn die Musik das so will, und ich mit der Bewegung die Musik rausbekomme, dann finde ich so gut wie jedes Mittel recht.

STANDARD: Ist Musik eigentlich politisch, kann sie es sein?

Thielemann: Ganz und gar nicht! Wie sollte sie es denn auch sein? Sie können doch in keiner Tonart Politik festmachen. Was ist D-Dur? Ist D-Dur Demokratie? Oder gibt etwa es eine faschistische oder eine kommunistische Tonart?

STANDARD: Wie ist dann generell Ihre Haltung zum so genannten Regietheater, dem es ja oft um eine politische Deutung von Stücken geht?

Thielemann: Hier kommt man irgendwann zu dem Punkt, wo einem die Dinge entgleiten, und zwar deshalb, weil man sein intellektuelles Supergebäude nicht mehr in Einklang bringen kann. Die Frage ist doch: Wie sieht es auf der Bühne aus? Wenn der Vorhang zum ersten Akt der Götterdämmerung aufgeht, dann sagt man sich, wir haben darüber vorher so viel gequatscht, und jetzt sieht es beschissen aus. Wissen Sie, das mag ich beim Dirigieren so sehr: Sie quatschen da nicht. Und vieles funktioniert sowieso ohne Erklären durch den reinen Kontakt. Sie können etwa ein Ritardando gar nicht erklären.

STANDARD: Es kommt ja auch vor, dass in die Opernpartituren selbst eingegriffen wird.

Thielemann: Da fühle ich mich einfach ungerecht behandelt, da mache ich nicht mit. Ich fühle mich als Sachwalter des Werkes. Ich nehme mir lediglich heraus, anstelle eines Forte ein Fortissimo zu setzen, aber sonst ändere ich nichts. Wenn man meine Generalpause, meinen wunderbaren Übergang etwa durch Geräusche auf der Bühne stört, dann fühl ich mich bedrängt, dann muss ich das sagen. Ich wundere mich sehr über Kollegen, die das einfach so hinnehmen oder weggucken. Ich sag ja dem Regisseur auch nicht, dass die Brünhild nicht von einer bestimmten Seite her kommen darf. Ich habe auf bestimmte Diskussionen keine Lust mehr.

STANDARD: Ein glatter Rückzug . . .

Thielemann: Ich denke einfach, der Klügere gibt nach. Es geht mir letztlich auch um mein Nervenkostüm. Die Entwicklung, wie sie jetzt ist, kippt vielleicht bald auch wieder um, vielleicht sogar so extrem, dass man tatsächlich wortgetreu am Text arbeitet: Dann kriegt die Brünhild wieder ein Stierhorn auf und der Siegfried wieder ein Fellwams umgeschnallt. Jetzt ist es doch so, dass Sie, wenn man Ihnen Szenenfotos zeigt, oft nicht sagen können, was das für ein Stück ist. Da ist dann von den Meistersingern, über die Così bis hin zu Turandot alles drin.

STANDARD: Machen wir einen Sprung zur Frage nach dem Repertoire. Sie dirigieren vorwiegend Wagner, Bruckner, Brahms und Beethoven . . .

Thielemann: Ich dirigiere genau das, was mir Spaß macht. Ist das nicht genug? Es geht auch darum, dass ich nicht andauernd lernen muss. Außerdem: Wer pflegt heute wirklich konstant diese Tradition, das deutsche Repertoire? Ich suche mein Heil auch nicht im Beruf, sondern mein Privatleben ist mir nun einmal sehr wichtig.

STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis zu Wien, speziell zu den Wiener Philharmonikern? Sie haben in Wien ja schon mehrfach Dirigate abgesagt.

Thielemann: Als ich jetzt den Parsifal in Wien gemacht habe, haben wir es nur schön gehabt, alle Sänger waren nett, das Orchester war zuckersüß, ich hab das so genossen. Keiner ist da ausgetickt. Bei den Philharmonikern habe ich den Eindruck, die kenne ich seit 100 Jahren. Das ist magisch mit den Leuten. Nein: Es ist so normal, dass das Wort hier angebracht ist. Es ist wie zu Hause im Wohnzimmer.

STANDARD: Die Absagen . . .

Thielemann: Wenn ich etwas absage, dann hat das Gründe, dann schaffe ich etwas nicht. Ich bin so ehrlich und sage, wie es ist, obwohl einem das ja keiner glaubt. Die Absagen mit den Philharmonikern haben mir immer dreimal Leid getan, weil ich sie besonders liebe und mich jedes Mal besonders auf sie freue. Wir haben ja viel vor in den nächsten Jahren. Ich finde, sie sind sehr offen und gehen wahnsinnig gerne mit. Und sie haben mich immer gut angenommen.

STANDARD: In Bayreuth dirigieren Sie heuer "Tannhäuser", 2006 den Ring, Regie führt Tankred Dorst. Was halten Sie von Dorst, der ja bisher vor allem als Dramatiker reüssierte?

Thielemann: Ich finde es eine gute Wahl, ich freue mich sehr darauf. Wir haben einen Regisseur, der das Rad nicht neu zu erfinden gedenkt. Und wir sind uns einig: no politics! Das ist doch schon mal schön. (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.07.2005)