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STANDARD: Frau Minister Gehrer, wo sehen Sie die Vorteile der neu geschaffenen Uni-Zugangsregelungen?

Gehrer: Vorteile kann man aus österreichischer Sicht natürlich keine finden. Ziel ist es jedoch, mit einem Qualitätsverfahren weiterhin geregelte Studienbedingungen sicherzustellen. Ich bin überzeugt, das österreichische Maturanten gut ausgebildet sind, deshalb haben sie auch gute Chancen.

STANDARD: Der Chef des Wissenschaftsrats, Jürgen Mittelstraß, will die nächsten zwei Jahre nutzen, um Auswahlverfahren für alle Studienfächer zu entwickeln. Sie auch?

Gehrer: Er hat vorgeschlagen, es zu diskutieren. Ich bin dafür, darüber eine Diskussion zu führen. Ich bin aber dagegen, dass man an deren Anfang bereits das Endergebnis vorwegnimmt. Ich halte viel mehr von den Einstiegssemestern, bei denen jeder selber Erfahrungen macht, ob er geeignet ist oder nicht. In Innsbruck gibt es das bereits für Lehramtsstudenten.

STANDARD: Soll das ausgeweitet werden?

Gehrer: Ich habe mit den Rektoren besprochen, dieses Best-Practice-Modell zu übernehmen.

STANDARD: Also ist Herr Mittelstraß doch beauftragt, über neue Zugangsbeschränkungen nachzudenken? Immerhin berät er Sie ja.

Gehrer: Nein. Er arbeitet nicht auf meinen Auftrag hin, sondern nimmt zu aktuellen Entwicklungen Stellung.

STANDARD: Für welche Fächer eignen sich Einstiegssemester Ihrer Meinung nach noch? Gehrer: Wir haben an allen Universitäten an und für sich die Notwendigkeit von Einstiegssemestern, sie sind im Uni-Gesetz auch vorgesehen. Die Unis können das selber entscheiden. Die Zeiten des alten Zentralismus sind vorbei. Ich lasse die Universitäten nicht im Stich. Ich gebe und lebe die Autonomie.

STANDARD: Das führt zu einem Numerus clausus light.

Gehrer: Es ist ein Qualitätsverfahren. Ein Numerus clausus light wäre, wenn ich die Maturanoten zusammenzähle und dividiere. Auch der Opposition ist nichts Besseres als Einstiegssemester eingefallen, die Hochschülerschaft wollte überhaupt nichts tun.

STANDARD: Die Unis für alle sind aber jetzt Illusion?

Gehrer: Unis für alle hat es bisher nie gegeben. Ich bitte dieses Schlagwort nicht zu verwenden. Wer kein Reifezeugnis hat, kann nicht auf die Uni gehen. Wer den Kammerton A nicht hört, kann nicht Musik studieren. Wer die Sportaufnahmeprüfung nicht besteht, kann nicht Sport studieren und wer farbenblind ist, kann nicht auf die Kunst-Uni. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo man eine gewisse Eignung haben muss für einen gewissen Beruf. Das hat es immer gegeben - auf der ganzen Welt.

STANDARD: Können Sie ausschließen, dass die Reifeprüfung ein Teil des Qualitätsverfahrens wird?

Gehrer: Die Reifeprüfung allein wird es nie sein.

STANDARD: Als Teilkriterium?

Gehrer: Ja. Ich lasse den Universitäten die Freiheit. Das gestatte ich mir als Ministerin, die nicht für den alten Zentralismus ist. Wir werden Vorschläge machen und diese ernsthaft prüfen.

STANDARD: Der Gedanke widerstrebt Ihnen nicht prinzipiell?

Gehrer: Meinen Sie, dass die Reifeprüfung kein Leistungsnachweis ist?

STANDARD: Wenn die Reifeprüfung mit eine Rolle spielen soll, bräuchte es einheitliche, österreichweite Matura-Standards.

Gehrer: Völlig unabhängig von "was wäre wenn" - ich halte es für wichtig, dass wir nach den Standards für die 4. Klasse Volks-, Hauptschule und Gymnasium in den wichtigsten Fächern Standards für die Reifeprüfung etablieren. Das soll in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.

STANDARD: Könnten ein österreichischer Wohn- und Arbeitsplatz ein Kriterium für den Studienzugang werden?

Gehrer: Wir haben alle diese Möglichkeiten verfassungsrechtlich geprüft. Ich habe nicht geschlafen und auch nicht nichts getan. Aber das wäre so EU-gleichheitswidrig, dass der EuGH das in einem Eilverfahren abstellt - wir würden damit nicht einmal Zeit gewinnen. Das Hohngeschrei, das danach durch die Presse rauscht, möchte ich mir gerne ersparen. Eventuell können Stipendien nur an jene vergeben werden, die drei Jahre in Österreich gemeldet sind - wie in England. Das prüfen wir gerade. Und sobald die neue EU-Verfassung gilt, werden wir bei der Kommission die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der aktuellen Regelung einklagen. Das ist alles in Vorbereitung. Oder glauben Sie, ich will mich lächerlich machen?

STANDARD: Experten warnen davor, dass die Entscheidung, den Uni-Zugang den Unis zu überlassen, "rechtlich und politisch höchst bedenklich" sei.

Gehrer: Wissen Sie, ich bin schon mein ganzes Leben lang von vielen unglaublich guten Ratschlägen umgeben. Ich habe andere Aussagen von anderen Verfassungsrechtlern.

STANDARD: Sie wollen die Entscheidung also doch nicht den Unis alleine überlassen?

Gehrer: Wir überlassen gar nichts, außer das, was die Unis als Auftrag und Arbeit haben. Ich lege kein Kind weg. Beratung und rechtliche Hilfestellung, Controlling, Leistungsvereinbarungen - das machen wir alles. Dass 178 Millionen Euro fehlen, war eine Indiskretion aus einer internen Gruppe. Wir verhandeln derzeit über die Fixkosten wie Mieten, Strom, Abgaben mit dem Finanzministerium. Es stimmt nicht, dass wir über diese Kosten nichts wussten. Wir haben alle Fixkosten im Jahr 2003 hineingeschrieben. Aber dass die Bundesimmobiliengesellschaft die Mieten 2007 erhöhen wird, wussten wir natürlich noch nicht. Das wird jetzt eben verhandelt. Das Budget für die Jahre 2007 bis 2009 sollte im Herbst stehen.

STANDARD: Was, wenn der Verfassungsgerichtshof erwartungsgemäß die "First-Come-First-Serve-Regelung" aufhebt?

Gehrer: Das werden wir uns dann anschauen, wenn es soweit ist.

STANDARD: Noch einmal zum EuGH-Urteil: Belgien stand vor einem Jahr vor dem gleichen Problem wie Österreich. Dort hat die Politik vor dem Urteil reagiert. Wieso haben Sie das nicht gemacht?

Gehrer: Das wollte ich nicht. Ich werde als Politikerin wohl meine eigene Entscheidung treffen können. Ich will nicht vor einem Urteil ein Gesetz machen, das wäre ja wie ein Schuldeingeständnis. Ich halte das für richtig.

STANDARD: 1994 machte die EU Österreich auf die Problematik aufmerksam, 1999 kam die erste Mahnung. Warum haben Sie nicht reagiert? Oder wollten Sie sich nur nicht den Vorwurf gefallen lassen, diejenige zu sein, die den freien Uni-Zugang abschafft?

Gehrer: 1994 und 1999 war ich nicht zuständig. Ab 2000 habe ich gesagt, dass ich das Herkunftslandprinzip weiter beibehalten will - ich habe mich schützend vor die Unis gestellt.

STANDARD: Dennoch sprachen Sie am Tag der Urteilsverkündung von einer "Notmaßnahme" - klingt das gut überlegt?

Gehrer: Nein. Da schwingt mit, dass der EuGH keine Zeit zur Reparatur gibt. In Österreich hat man ein halbes Jahr Zeit, solche Gesetze umzusetzen. Beim EuGH nicht. Das sollte man einmal diskutieren.

STANDARD: Wollen Sie wieder Bildungsministerin sein?

Gehrer: Ich werde mich ganz sicher ganz genau vorbereiten, welche Ziele im Bildungsbereich in der nächsten Legislaturperiode zu erreichen sind. Die Frage, ob ich wieder die Ministerin mache oder nicht, hängt vom Wahlergebnis ab. Ich habe mich in einem Tag entschieden, ob ich Ministerin werde. Ob ich es bleibe, werde ich in einem halben entscheiden. (DER STANDARD-Printausgabe, 23./24. Juli 2005)