Tödlich getroffene Lolita im pinken Mädchenzimmer-Albtraum: "Aye, me (heart explosion) 1", 2004

Foto: Alex McQuilkin /Courtesy Galerie Adler
Wien - Leichter Teerdunst steigt in die Nase. Boden, Wände, Sitzbänke - die Ausstellungsräume im Wiener Künstlerhaus sind vollständig mit Asphaltpappe ausgeschlagen, im Halbrund krümmt sie sich die Wände hinauf: Straße und Halfpipe, zwei Orte, wo Teens zwischen 13 und 18 "abhängen", werden zu Elementen der Ausstellungsarchitektur. Die Straße, eigentlich ein Un-Raum, den sich die jungen Leute mangels besserer Alternativen erobert haben. Miefige Jugendzentren sind - und waren eigentlich immer schon - "out".

Längst revoltiert die Jugend nicht mehr mit "Wir sind anders als ihr" gegen die Generation ihrer Erzieher. Korrekter ist: "Wir sind anders als wir." Zwischen Selbstfindung und Konsum nimmt der Youngster heute multiple Identitäten an und wird mitunter zum eigenen Trendscout - dem "Coolhunter".

Die Ausstellung von Birgit Richard, Klaus Neumann-Braun, Sabine Himmelsbach und Peter Weibel wurde ursprünglich für das ZKM in Karlsruhe entwickelt. Zielgruppe sind die Jugendlichen selbst, betont Himmelsbach, deswegen sei auch so viel interaktiv gestaltet.

Keine Erklärungshilfe

Man will die Jugend hier nicht vorführen oder etwa Erklärungshilfen für ratlose Eltern liefern, die verzweifelt versuchen, die von Comics, Games und Modelabels dominierte Lebenswelt ihrer pubertierenden Kinder zu verstehen. (Diesen sei eher die begleitende Publikation ans Herz gelegt.)

Die Inhalte gab demnach auch die zu diesem Zweck befragte Jugend vor. Neben dem, was Teenieherzen höher und schneller schlagen lässt, vom Markenturnschuh über Retro-Ansteckbuttons bis zum stylishen Energydrink, beleuchten rund 70 Künstler die Module Körper/Objekt, Sprache, Gewalt, Raum, Zeit sowie Geschlecht/Gender. Das riecht spröde und mehr nach Soziologie oder Pädagogikseminar, ist aber überraschend bunt, laut und (wie es in einem Weblog heißt) "rockig" geraten.

"Rock" ist dem jungen Mädel im Video Annemiek von Rineke Dijkstra noch nicht in die Glieder gefahren. Scheu blickt das Playback-Mädchen in die Kamera, während sie zu soften Backstreet-Boys-Klängen verhalten die Lippen bewegt. Enthemmter dagegen die teilweise berauschten Akteure in The Buzzclub, einer Videoinstallation von Dijkstra: Zum Technobeat schmeißt sich eine 15-Jährige im weißen, bauchfreien Etwas weg, daneben lethargisches Kopfnicken zweier Burschen in abscheulichen Trainingsjacken: sich ausprobieren, kennen lernen, Träumen nachhängen.

Musik lässt Grenzen zwischen Realität und Traumwelt oft verwischen: Alex McQuilkin ist Hauptakteurin in ihren C-Prints. Aye, Me (Heart Explosion) zeigt die tödlich getroffene Lolita, zusammengesunken zwischen Nagellack und Teddybär, im pinken Albtraum ihres Mädchenzimmers. Brutal auch Fotos von Daniel Buetti, der Identifikation und Jagd nach dem Label martialisch umsetzt: Logos mutieren zu Brandzeichen auf Model-Gesichtern.

Jugendliche nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten zu zeigen gelingt erstaunlicherweise gerade im negativ behafteten Bereich der Computerspiele. Hier hat sich eine sehr kreative Praxis eingeschlichen: Bei Machinima werden mithilfe von Game-Engines aus Spielen wie Quake eigene Filmsequenzen erstellt. Spielerisch auch Silke Wagners Installation Fingerskating-Park, der reale Skater-Plätze in München en miniature in Holz nachbaute und in Karlsruhe zum Fingerboard-Contest einlud.

Das bisher größte Lob, so Kuratorin Himmelsbach, äußerte ein junges Mädchen: "Ich fühle mich hier ernst genommen." Letztendlich muss also die junge Wiener Zielgruppe urteilen, ob die Ausstellung sie erreicht. Dazu muss sie das Künstlerhaus als neuen Ort für sich erobern. Ohne passendes Begleitprogramm könnte das schwierig werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.07.2005)