Befragung zweier angeklagter Polizisten durch Gerichtsmediziner Daniel Risser, sowie Rekonstruktion des Tathergangs

Zeichnung: STANDARD/Oliver Schopf
Beim Prozess zum Erstickungstod des Seibane Wague treten schwere Ausbildungsmängel von Polizisten zutage. Nie hatte man Atmung erklärt oder das Fesseln gelehrt

Wien – "Marscherleichterung", verkündet der Richter. Die Verteidiger dürfen ihre Sakkos ablegen. Eine Anwältin – sie vertritt die Witwe des Opfers Seibane Wague – lässt die Weste lieber an. "Ich spare mir weitere sexistische Bemerkungen meines Sitznachbarn", murmelt sie. Der Anwalt daneben grinst, als hätte er soeben Lob geerntet.

"Wissen Sie, wie Atmung funktioniert?"

Am zweiten Prozesstag wechselt die Mühsal der minutiösen Aufarbeitung einer im Erstickungstod verendeten Amtshandlung mit verzweifelten Auflockerungsbemühungen und zaghaften Showelementen. Um entspanntere Stimmung im Saal macht sich vor allem der bullige Gerichtsmediziner Daniele Risser verdient. Erst fragt er noch: "Wissen Sie, wie Atmung funktioniert?" – "Nein", antwortet darauf der Polizist. "Wissen Sie, was passiert, wenn man Druck auf den Brustkorb ausübt?" – Weiß er nicht.

Daraufhin legt der Gutachter sein Sakko ab, streckt sich plötzlich bäuchlings auf dem Boden vor dem Richtertisch aus und verschränkt die Hände hinter dem Rücken. So, und jetzt muss einer der zehn Angeklagten zeigen, wie er es damals gemacht hat, vor zwei Jahren und sieben Tagen im Wiener Stadtpark, damals als sie den psychotischen Patienten Wague zur Ruhe bringen wollten – und zur Ruhe gebracht haben, für immer.

Demonstration abgebrochen

Der Polizist beugt sich über den Liegenden und presst seine Arme auf dessen Rücken. Der Mediziner beginnt leise zu keuchen. "Geht's noch?", fragt der Polizist. "Ja, noch", stöhnt Gutachter Risser. Bald danach wird die Demonstration abgebrochen. "Es war ein einengender Druck, der meine Atmung beeinträchtigt hat", resümiert Risser: "Ich hatte das Gefühl, dass eine sehr starke Last auf mir liegt." Um ein Vielfaches stärker war damals die Last auf dem am Boden fixierten, herzkranken Mauretanier. Um ein Vielfaches stärker ist heute die Belastung, die von dem scheußlich authentischen Video ausgeht, einseitige Kampfszenen, die ein Anrainer vom Balkon aus aufgenommen hatte.

Brutale Fußarbeit

Mehrere Personen knien oder stehen mit einem oder sogar beiden Beinen auf dem Rücken des Opfers und drücken Schultern, Beine und Arme des Überwältigten nieder. Auch drei Sanitäter waren dabei. "Die müssen das", meldet sich auch gleich der dazu passende Verteidiger: "Die Rettungsleute sind angehalten, Fixierungen mittels Fußes vorzunehmen." Zu viele Rettungskräfte seien bei Psychosen-Einsätzen schon verletzt worden, erklärt der Anwalt.

Mit dem Kopf gegen den Asphalt

Davor soll Wague immer wieder von sich aus mit dem Kopf gegen den Asphalt geschlagen haben. "Ich hab mir gedacht, das kann's nicht sein", sagt ein Polizist: "Kopfverletzungen sind nicht so lustig, wir waren ja da, um zu helfen." So habe er ihm eine Tasche unter das Gesicht geschoben. Eine Polizistin stand mit einem Bein auf Wagues rechtem Oberschenkel. "Aus Eigensicherung hab ich ihn stehend fixiert", sagt sie. Außerdem hatte sie das Funkgerät in der Hand. Sicherheitshalber blieb sie auch noch auf ihm stehen, als er sich nicht mehr bewegte. Nach einer Ruhepause sei bei einem psychotisch Tobenden immer wieder "mit dem totalen Gewaltausbruch zu rechnen", meint sie.

Eklatante Ausbildungsmängel

Je länger die Polizisten einvernommen werden, desto klarer treten eklatante Ausbildungsmängel hervor. Jener Beamte, der Wague zu Boden gedrückt und dabei sein linkes Knie in dessen Rücken gepresst hat, gibt an, niemals geschult worden zu sein, wie man jemanden fesselt oder fixiert. "Ich hab bis heute keine Schulung gehabt", sagt er: "Ich hatte keine Ahnung, was da passieren kann." Kurse im Umgang mit psychisch Kranken gebe es nur auf Freiwilligenbasis, bestätigen die Kollegen: "Aber da interessiert sich kaum wer dafür."

Keine Hektik

Nach knapp fünf Minuten Dauerdruck wurde dem Patienten endlich die längst geplante Beruhigungsspritze verabreicht. Danach wurde er zunehmend schlaffer. "Hat es da keine Hektik gegeben?", fragt der Richter. "Wenn ich gewusst hätte, dass er keinen Puls mehr hat, hätte ich selbst für Hektik gesorgt", sagt einer der Polizisten.

Heute, so gibt er zu, würde er "anders handeln". Er würde "öfters die Atmung kontrollieren" Und: "Ich würde den Arzt grundsätzlich nicht von meiner Seite weichen lassen. Als studierter Mensch muss er wissen, ob es dem Herrn Wague noch gut geht", sagt er.

Notarzt weit entfernt von der Gruppe

Wie es dem Patienten ging, konnte der Notarzt gar nicht wissen. Auf dem Video sieht man ihn, weit entfernt von der Gruppe, abwartend, gelangweilt, scheinbar völlig desinteressiert auf- und abgehen, – wohl eines der beklemmendsten Details der Aufzeichnung. "Früher war ich mutiger", sagt er, der seit 20 Jahren als Notfallmediziner tätig ist: "Da bin ich zu den Patienten hin, hab Faustschläge bekommen, meine Augengläser verloren. Da wird man dann vorsichtiger mit der Zeit."

Tödliche Langsamkeit

Nach der Spritze habe sich der Arzt gleich wieder von Wague abgewandt, behauptet die beschuldigte Polizistin, die den Mediziner am härtesten belastet. Auf ihre Frage, ob mit dem Puls alles in Ordnung sei, habe er sich weggedreht und "Passt schon" gemurmelt. Der Arzt kontert: "Die Polizistin hat mir nicht erlaubt, den Mann in eine psychiatrische Anstalt zu bringen."

Den Richter wundert vor allem, dass vom Zeitpunkt der Feststellung, dass Wague keinen Puls mehr hatte, bis zu seiner Verbringung in den Rettungswagen zwei Minuten und neun Sekunden verstrichen, in denen nichts getan wurde. "Mir ist die Zeit nicht so lange vorgekommen", sagt dazu ein Sanitäter. Der Prozess geht am Donnerstag weiter. (Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 21.7.2005)