Dass unter der Regierung des Republikaners George W. Bush ausgerechnet jene Journalistin in einem Gefängnis landete, die vor und während des Irakkriegs monatelang die amerikanische wie die internationale Öffentlichkeit mit Artikeln über die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak aufmunitionierte, mag als eine Ironie der Geschichte verstanden werden.

Als "besitzergreifend, was ihre Quellen angeht, leidenschaftlich verbunden mit ihren Storys und ein wenig obsessiv", charakterisierte New York Times-Herausgeber Bill Keller in einer nachsichtig gemeinten Äußerung seine umstrittene Starschreiberin Judith Miller. Weil sie ihre Quelle in der Affäre Plame nicht preisgeben wollte, sitzt die Pulitzer-Preisträgerin in einem Gefängnis in Alexandria im Bundesstaat Virginia. Miller, die 1977 in der Washington-Redaktion der New York Times anfing, galt als Prototyp des Journalismus nach den Watergate-Aufdeckern Woodward und Bernstein: statt Recherche exzessives Arbeiten mit einem Netzwerk anonym gehaltener "Quellen".

Miller schrieb übrigens keine Zeile über die Affäre der enttarnten CIA-Agentin Plame, die Bushs Argumentation für den Irakkrieg diskreditierte. Tatsächlich bereitete die NYT-Journalistin die öffentliche Meinung auf den Krieg vor, gestützt vor allem auf ihre lange Freundschaft mit dem vom Pentagon kreierten irakischen Exilpolitiker Ahmed Chalabi. "Überläufer stärken die Argumentation der USA gegen den Irak, sagen Regierungsvertreter", lautete etwa im Jänner 2003, drei Monate vor dem Angriff, der Titel einer ihrer Geschichten.

Von März bis Juni 2003 schrieb Miller die Geschichte der - nie gefundenen - Massenvernichtungswaffen fort, dieses Mal als "embedded journalist" einer Spezialeinheit, die nach Saddams Geheimwaffen suchen sollte. Ein "Menuett verblüffender Behauptungen", merkte ein Jahr später der NYT-Ombudsmann Daniel Okrent in seiner Kolumne an. Die New York Times hatte Serie um Serie an Storys über angebliche mobile B-Waffenlabors und radioaktives Material im Irak abgefeuert, ohne diesen Behauptungen auch nachzugehen. NYT-Herausgeber Keller räumte im Mai 2004 ein, dass die Berichterstattung zu stark "von einem Kreis irakischer Informanten" abhing. (mab/DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2005)