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Alois Mock war 1987-1995 Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten und führte die Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU.

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Brigitte Ederer war nach ihren Jahren als Staatssekretärin Finanzstadträtin von Wien, dann Managerin bei Siemens. Mit Jahresende steigt Ederer zur Generaldirektorin von Siemens Österreich auf.

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Der Auftritt zählt zu den berühmtesten Szenen der österreichischen Politik: Nachdem die damalige Regierung vor elf Jahren in Brüssel den Beitritt Österreichs zur EU ausgehandelt hatte, drückte der erschöpfte Außenminister Alois Mock der verblüfften Staatssekretärin Brigitte Ederer vor laufenden Kameras ein Busserl auf die Wange. In monatelanger Kleinarbeit hatte das schwarz-rote Duo gemeinsam den Weg in Union geebnet, als "Mister Europa" galt dennoch stets Mock.

Frau Ederer, mal ehrlich: Haben Sie sich einst über Alois Mocks Busserl geärgert oder gefreut?

Brigitte Ederer: Nein, ich habe mich nicht darüber geärgert, sondern war eher überrascht. Wir hatten zwei Nächte lang nicht geschlafen. Bei der Pressekonferenz nach der Einigung über den Beitritt saß ich wie in Trance da und habe dem Herrn Bundesminister – wenn er sich nicht kränkt – ehrlich gestanden nicht genau zugehört. Auf einmal sah ich einen Schatten von links, dann spürte ich diesen Schmatz auf meiner Wange!

Alois Mock: Das war eine Spontanaktion. Brigitte Ederer war ja immer ein sehr charmanter Mensch. Ich war damals auch wirklich ausgepumpt.

Mock: Zuerst haben wir ja gedacht, dass schon um sechs Uhr alles erledigt sei. In den gemischten Arbeitsgruppen zogen wir und die Sozialisten ja an einem Strang ...

Ederer: Hören Sie? Er nennt uns immer noch "Sozialisten"! In den vier Jahren, in denen wir zusammengearbeitet haben, habe ich ihm nicht einmal angewöhnen können, "Sozialdemokraten" zu sagen.

Zehn Jahre danach steckt die Union in einer Verfassungskrise und kann sich nicht einmal auf ein Budget einigen. Wie würden Ederer und Mock heute die EU retten?

Ederer: Bitte, Sie zuerst, Sie sind der größere Retter.

Mock: Zuallererst sollte man nicht jeden Tag eine neue Krise verkünden. Es liegt doch in der Natur der Sache, dass es bei einer gemeinsamen Verfassung zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Ich bin trotzdem Optimist: Die Friedensidee, den Menschen Sicherheit zu geben, ist trotz des Neins von Frankreich und der Niederlande so stark, dass sie hält.

Ederer: Das kann ich nur unterstützen. Erst muss man die Hysterie dämpfen. Europa ist ein lebender Kompromiss. Vor dem Beitritt stand für Österreich die Idee Europa im Vordergrund. Doch leider haben wir uns seither in die nationale Kleinkrämerei verabschiedet. Das gilt nicht nur für die bestehende, sondern für alle Bundesregierungen. Wann immer Minister etwas in Brüssel beschließen, distanzieren sie sich zu Hause gleich wieder ein bisschen von dem, was gerade abgesegnet wurde. Die Regierungen sollten schon zur EU stehen.

Viele Leute haben dennoch nicht mehr oder sogar weniger im Börsel als früher. Das liegt unter anderem an den Sparpaketen, an denen die Brüsseler Sparpolitik nicht ganz schuldlos ist.

Ederer: Die EU sollte man damit nicht direkt in Zusammenhang bringen. Schon im Jänner 1995, also gleichzeitig mit dem Beitritt zur Europäischen Union, gab es das erste Sparpaket der damals rot-schwarzen Koalition. Eines galt für alle Regierungen: Vor der Wahl haben sie Steuerreformen gemacht, nach der Wahl gab es Sparprogramme. Deswegen haben die Leute nie akzeptiert, dass sie nun wirklich weniger für Nahrungsmittel und elektrische Geräte zahlen.

Mock: Vielleicht hätten wir dazu sagen sollen, dass man den Tausender nicht beim lokalen Postamt ausbezahlt bekommt. Es ist keine Frage, dass Österreich wirtschaftlich stärker geworden ist. Bei der Osterweiterung sind wir absoluter Profiteur: Allein wenn man sich anschaut, wie stark die Exporte in den Osten gestiegen sind. Nicht einmal wir hätten so einen Aufschwung erwartet. Nehmen Sie auch die ausländischen Investitionen. Die Österreicher sind da ja sehr empfindlich. Die Ausländer würden uns aufkaufen, hieß es. Nun kommen wir darauf, dass uns das alles nützt.

Wenn die EU soziale Mindeststandards festlegen würde, dann könnte eine Firma nicht so leicht damit drohen, nach Polen abzusiedeln, weil sie den Arbeitern hierzulande zu viel bezahlen müsse.

Ederer: Wir sind gut beraten, daran zu arbeiten, dass sich Polen zu einem wirtschaftlich gleichwertigen Partner entwickelt. Ich persönlich halte nichts von Festungen, denn diese haben den Anreiz, dass sie andere erobern wollen. Besser sind Maßnahmen, um die technologische Führerschaft zu behaupten.

Nicht rosig ist die Lage auch punkto Verkehr: Sie haben die Leute vor dem Beitritt beschwichtigt, dass Österreich einen tollen Transitvertrag habe. Mittlerweile ist er ausgelaufen, die Lastwagen donnern ungehindert durch Österreich.

Mock: Der Transitvertrag hat damals den Ansprüchen genügt. Er hat eine beachtliche Reduktion der Transporte und des Schadstoffausstoßes gebracht. Doch wegen dieser Erfolge wurde das Thema in der Folge vernachlässigt – bis wegen des Wirtschaftswachstums der Verkehr sprunghaft angestiegen ist.

Ederer: Sehr vereinfacht gesprochen, wollten die Österreicher, dass die Tiroler Frächter durchs Inntal fahren dürfen, aber niemand anderer. Das geht natürlich nicht. In einer Gemeinschaft gibt es gemeinsame Regeln, und die wirtschaftliche Entwicklung hat nun einmal etwas mit Warenströmen zu tun. Ich kreide der EU aber schon an, dass sie seit 1992 beim Brenner-Basistunnel herumnudelt. Das ist eine Bankrotterklärung. Schließlich ist es völlig unsinnig, alles mit den Lastern über die Alpen zu transportieren.

Mock: Ich möchte mich ja nicht ranschmeissen, aber eigentlich müssten wir gemeinsam eine Partei gründen.

Ederer: Wir zwei? Das wird sich nicht mehr ganz ausgehen, Herr Bundesminister. Ich glaube, wir bleiben lieber bei unseren alten Parteien.

Welche Schwerpunkte soll Österreich während seiner Präsidentschaft 2006 setzen?

Ederer: Die Leute müssen das Gefühl bekommen, dass diese EU für uns da ist – etwa bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wäre ich noch verantwortlich, würde ich mir überlegen, wie die EU die enorme Schwäche bei der Nachfrage wieder anzukurbeln könnte. Ein zweites Problem ist, dass auch die Intellektuellen das Projekt mittlerweile etwas verlassen haben. Da gilt es, eine Diskussion zu starten.

Mock: Ich glaube, dass es für uns viele Möglichkeiten gibt, die wir heute noch nicht ausnützen. In asiatischen Ländern wie Korea habe ich einen ungeheuren Konkurrenzgeist kennen gelernt, mit dem die Menschen wachsen. Eine echte Wettbewerbssituation wünsche ich mir für die EU auch. Ich kenne in der österreichischen Wirtschaft immer noch viele Leute, die würden am liebsten nur in München und Zürich verkaufen – denn dort sprechen's Deutsch. Natürlich braucht es gleichzeitig scharfe Gesetze gegen Monopole. Und die Forschung muss ausgebaut werden.

In der ÖVP und der SPÖ mehren sich die Stimmen gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. Sind Sie dafür oder dagegen?

Ederer: Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf jeden Fall aufnehmen. Dann wird sich zeigen, ob dieses Land bereit ist, die Regeln der EU zu akzeptieren. Die Gespräche werden hart und zäh sein, denn Ausnahmen darf es für die Türkei nicht geben, ebenso wenig für Rumänien und Bulgarien. Der Ausgang der Verhandlungen ist offen. Wenn sie aber abgeschlossen werden, sehe ich zum Beitritt der Türkei keine Alternative mehr. Denn es geht um die Stabilität einer ganzen Region.

Mock: Erleben werde ich nicht mehr, dass es einmal so weit kommt ...

Ederer: Aber nein, in zehn Jahren, wenn Österreich 20 Jahre in der EU feiert, sitzen wir zwei beim Festakt in der ersten Reihe.

Nach dem EU-Beitritt Österreichs haben sich Ihre Lebenswege getrennt. Wie haben Sie sich gegenseitig in Erinnerung behalten?

Ederer: Alois Mock ist der konsequenteste und sturste Mensch, den ich in meinem Politikerleben kennen gelernt habe. Wenn jedoch so etwas wie Handschlagqualität existiert, dann besitzt sie Mock. Man hat sehr lange gebraucht, um einen Handschlag zu bekommen. Aber wenn es soweit war, konnte man sich blind auf ihn verlassen. Das hielt gegen jeden Ansturm seiner eigenen Parteikollegen.

Mock: Ich habe mich bei Brigitte Ederer immer gefragt: Ist sie eine Linke oder ist sie keine? Es kam ja selten vor, dass wir unterschiedlicher Meinung waren. Ich wünsche der Frau Staatssekretärin für ihren Job als Generaldirektorin alles Gute. Und ich verspreche: Künftig nenne ich sie nicht mehr Sozialistin, sondern Sozialdemokratin.

Ederer: Das war jetzt das größte Zugeständnis, dass ich ihm jemals abgerungen hab.