Rom - 23 Jahre nach dem Tod des für den Vatikan arbeitenden italienischen Bankiers Roberto Calvi laufen die Ermittlungen in diesem Fall wieder auf Hochtouren. Die Staatsanwaltschaft von Rom vermutet, dass der Ex-Freimaurer-Chef Licio Gelli Auftraggeber des Calvi-Mordes ist, berichtete die italienische Tageszeitung "La Repubblica" in ihrer Dienstag-Ausgabe. Der ehemalige Chef der verbotenen Freimaurerloge "Propaganda Due" (P2) wurde von den römischen Staatsanwälten vernommen, die um Calvis Tod ermitteln. Der Bankier war 1982 unter einer Brücke in London tot aufgefunden worden.

Größter Bankenskandal

Gelli ist in mehrere rätselhafte Fälle der italienischen Nachkriegszeit verwickelt. Den Staatsanwälten riet er, in Polen nach den Auftraggebern des Calvi-Mordes zu suchen. "Ich war eines Abends bei Calvi zu Hause. Er war verärgert. Er sagte, er werde am folgenden Tag im Vatikan erwartet, wo man ihm 80 Millionen Dollar zur Zahlung von Rechnungen in Polen geben wollte", sagte Gelli laut "Repubblica".

Als Präsident der Banco Ambrosiano stand Calvi damals im Mittelpunkt des größten italienischen Bankenskandals seit dem Zweiten Weltkrieg. Die britischen Justizbehörden hatten im vergangenen Jahr die Untersuchung neu aufgenommen, nachdem die italienische Justiz dem skandalumwitterten Finanzier Flavio Carboni und weitere drei Personen wegen schweren, vorsätzlichen Mordes angezeigt hatte.

Verwicklung der Mafia

Zu den Verdächtigen zählen Ex-Mafia-Boss Pippo Calo, der bereits eine lange Haftstrafe absitzt, sowie der zwielichtige Geschäftsmann Carboni und dessen damalige Freundin Manuela K. Die Kärntnerin war zur Tatzeit 19 Jahre alt und die Freundin des sardischen Immobilienhändlers Carboni. Dieser soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord geleistet haben.

Die Frau hatte sich gemeinsam mit Carboni in London aufgehalten, als Calvi dort starb. Sie hatte stets ihre Unschuld beteuert. Die heute 43-Jährige habe mit Carboni nichts mehr zu tun, sagte ihre Verteidigerin. Der Prozess gegen die vier Verdächtigen beginnt am 6. Oktober in Rom.

Hintergründe im Dunkeln

Der Bankrott der Banco Ambrosiano war der größte Bankenzusammenbruch in der italienischen Nachkriegsgeschichte, dessen genaue Hintergründe bis heute im Dunkeln liegen. Immer wieder war von illegalen Geschäften sowie von Verstrickungen hoher Politiker die Rede. Calvi, seit 1971 Chef der Bank, war 1981 wegen Korruption verurteilt worden, kam aber gegen Kaution frei. Am 11. Juni 1982 verließ Calvi Italien mit einem Koffer voller Dokumente; angeblich befanden sich darin auch belastende Unterlagen über hohe italienische Politiker.

Erste Untersuchung sprach von Selbstmord

Nur wenige Tage später, am 19. Juni, wurde seine Leiche gefunden. Im Monat darauf wurde der Akt vorerst geschlossen, das Untersuchungsergebnis lautete Selbstmord. Ein Jahr später wurde aber ein weiteres Verfahren eröffnet, das im Oktober 2002 auf Grund forensischer Untersuchungen zum Schluss kam, dass es sich beim Tod des "Bankiers Gottes" um Mord gehandelt haben dürfte. Dann war auch aus Kreisen der italienischen Staatsanwaltschaft der Verdacht zu hören, der "Bankier Gottes" könnte das Opfer einer gemeinsamen Aktion der Mafia und der Geheimloge P2 geworden sein.

Mehrere Prozesse über die Bankenpleite endeten mit hohen Haftstrafen. Die Verwicklungen mit dem Vatikan konnten dabei nie genau geklärt werden. Die Ambrosiano-Bank wurde nach den undurchsichtigen Geschäften ihres Chefs mit Schulden in Höhe von über 500 Mio. Euro liquidiert. (APA)