Wien - "Man muss einem Menschen die Möglichkeit zum Atmen geben", meint Staatsanwältin Sabine Rudas. Man versteht sie kaum. Von draußen dringt Baulärm herein, aber die Fenster bleiben offen, darauf besteht Richter Gerhard Pohnert. "Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich schwitze", erklärt er. Man muss ihm die Möglichkeit zum Atmen geben.
Der gebürtige Mauretanier Cheibani Wague ist vor zwei Jahren und sechs Tagen unter den Knien und Schuhsohlen einer Gruppe amtshandelnder Personen im Wiener Stadtpark erstickt. Die Todesursache: Herz-Kreislauf-Versagen infolge akuten Sauerstoffmangels. Er hatte getobt. Man hatte ihn nicht beruhigt. Man hat ihn etwa fünf Minuten, mit dem Bauch auf dem Boden, fixiert. Man hat ihm die Möglichkeit zum Atmen genommen. Sechs Polizisten, drei Sanitäter und ein Amtsarzt müssen sich seit Dienstag wegen "fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen" verantworten.
Die brisante Verhandlung sollte eigentlich nicht nur halböffentlich sein. Viele Zuschauer werden allerdings abgewiesen, auch einige Journalisten müssen draußen bleiben. Zu wenig Platz, zu wenig Luft, der Richter darf nicht schwitzen. Im Großen Schwurgerichtssaal hätten es alle bequem gehabt. Aber der größte Saal wird derzeit offenbar nur zu Protestveranstaltungen des Gerichtspersonals wegen dessen schlechten Arbeitsbedingungen genutzt.
Toben im Stadtpark
Drinnen bekennen sich die Angeklagten allesamt nicht schuldig. Ihre Anwälte bitten die Witwe des Verstorbenen um Entschuldigung. "Das Ganze ist sicherlich tragisch", sagt einer. "Meiner bedauert es zutiefst", weiß sein Kollege: "Aber immer, wenn einer bei einer Amtshandlung stirbt, wird ein Schuldiger gesucht", fällt ihm schon einmal unangenehm auf.
Begonnen hatte alles mit einem nächtlichen Funkspruch an "Cäsar 4". Der Beamte erinnert sich: "Raufhandel zwischen Schwarzem und Weißem", habe es geheißen. "Wir sind dort hingefahren, um zu helfen", stellt er gleich klar. Cheibani Wague, Nachtwächter im Afrika-Kulturdorf im Stadtpark, war mit seinem Chef in Streit geraten und hatte in einem psychotischen Schub zu toben begonnen.
"Zwischenzeitlich hat er sich gut beruhigt", erinnert sich einer der Beamten. Dann aber habe er wieder wirres Zeug geschrien: "Bruder Mond und Schwester Sonne." Und: "Mein bester Freund schläft mit meiner Frau." Und: "Ich bin ein guter Moslem." Danach habe er wild um sich geschlagen. "Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Herumfuchteln und Schlagen?" fragt die Anwältin der Witwe. "Ja, aber er hat beides getan", sagt der Polizist.
"Die Füße von ihm waren in tretender und gefährlicher Art da", erinnert sich sein Kollege: "Er war knapp vor einer Explosion." Ein Dritter bestätigt: "Es war eine Gefährdung für die Eigensicherheit gegeben." Er meint: für die Sicherheit des Tobenden selbst. Die Beamten hätten große Sorge gehabt, der Afrikaner könnte auf die Straße laufen und von einem Auto erfasst werden. Deshalb legten sie ihm Handfesseln am Rücken an, drückten ihn bäuchlings auf die Bahre und gurteten ihn dort an. Der Notarzt hatte vor, dem Patienten zur Beruhigung fünf Milligramm Haldol zu verabreichen.
"Wir sind gute Inspektoren"
Man schob Cheibani Wague in den seitlich geöffneten Rettungswagen. In einem letzten Energieanfall gelang es ihm, den Gurt zu lösen, vom Wagen zu springen und davonzulaufen. Er kam nur ein paar Schritte weit. Hier beginnen für Anklägerin Rudas die gefährlichen Umstände der fahrlässigen Körperverletzung. "Wenn sich neun Personen auf einen drauf werfen, ist eine Ausnahmesituation gegeben", sagt sie: "Das muss für jeden Menschen erkennbar sein", insbesondere für die Beschuldigten, "aufgrund ihres Wissens und ihrer Ausbildung." - "Wir sind gute Inspektoren", wehrt sich einer von ihnen. "Wie koordinieren Sie sich in solchen Fällen?", fragt der Richter. "Das sind Spontanaktionen", meint der Beamte: "Wir haben jeder selbstständig gearbeitet."