STANDARD: Der Streit um die Zustimmung zum Asylgesetz hat die SPÖ ziemlich erschüttert, und nach wie vor ist nicht ganz klar, ob die Zwangsernährung von hungerstreikenden Schubhäftlingen jetzt möglich ist oder nicht. Was ist denn der politische Erfolg, den die SPÖ in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch nehmen kann?
Gusenbauer: Wenn man den Strasser'schen Erstentwurf mit dem vergleicht, was jetzt beschlossen wurde, sind Meilen dazwischen. Uns war am wichtigsten, dass es zur Verkürzung der Verfahren kommt, das ist entscheidend für die Rechtssicherheit und für den Umgang mit dem Problem. Das ist erreicht worden.
Zweitens, dass es Möglichkeiten gibt, den Asylmissbrauch einzustellen. Wir betrachten das Gesetz sowohl als verfassungskonform wie auch menschenrechtskonform. Das wäre, wenn es die ÖVP allein gemacht hätte, nicht gewährleistet gewesen.
STANDARD: Warum stimmt die SPÖ überhaupt einer Verschärfung des Asylgesetzes, das auch als Zugeständnis der ÖVP an das BZÖ gedacht war, zu?
Gusenbauer: Man muss sich schon im Klaren sein, dass Österreich, obwohl Deutschland zehnmal so groß ist, die gleiche Anzahl an Asylwerbern hat. Dort beträgt die Anerkennungsquote acht Prozent, in Österreich beträgt sie zwischen 20 und 30 Prozent. In neuen EU-Mitgliedsstaaten wie der Slowakei beträgt sie null Prozent. Auch nach der Beschlussfassung dieses Asylgesetzes gehört Österreich mit Sicherheit zu den europäischen Staaten, die die liberalsten Regelungen in diesem Bereich haben.
Gerade eine gesellschaftspolitisch liberale Einstellung ist sehr stark gefordert, hier Grenzziehungen durchzuführen. Das ist mit dem Asylgesetz gelungen, auch wenn wir als Sozialdemokraten in einzelnen Bereichen das besser und klarer formuliert hätten. Das haben wir durch unsere Abänderungsanträge dokumentiert. Aber es war kein besserer Kompromiss mit der ÖVP möglich.
STANDARD: Jetzt will die Regierung im Nachhinein noch ein paar Änderungen an dem beschlossenen Gesetz vornehmen. Fühlen Sie sich da nicht über den Tisch gezogen?
Gusenbauer: Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass die ÖVP einseitig im Nachhinein eine Veränderung vornimmt, dann ist das ein klarer Vertragsbruch. Dann hat die ÖVP bis zum Ende der Legislaturperiode keine Chance mehr, mit uns zu einer Einigung zu kommen.
Entweder einigt man sich auf etwas, dann steht man dazu, dann gilt das zumindest bis Ende der Legislaturperiode. Oder es gilt das Wort der ÖVP nichts. Wenn die ÖVP wortbrüchig wird, muss sie wissen, dass damit ein Verhandeln mit ihr keinen Sinn mehr hat.
STANDARD: Egal zu welchem Thema?
Gusenbauer: Egal zu welchem Thema. Mit einer Partei des Wortbruchs setzen wir uns nicht an den Tisch.
STANDARD: Sie behaupten nach wie vor, Zwangsernährung sei nicht möglich?
Gusenbauer: Nach all den Expertenmeinungen bin ich der Ansicht, dass auf Basis dieses Gesetzes Zwangsernährung nicht möglich ist.
STANDARD: Dieses Gesetz ververweist wieder auf andere Gesetze, man muss sich juristisch gut auskennen, um die Querverweise zu durchschauen.
Gusenbauer: Es wird im Bereich des Asyls zu keiner Zwangsernährung kommen.
STANDARD: Sind die parteiinternen Wogen schon geglättet?
Gusenbauer: Sehr komplizierte Fragestellungen führen zu unterschiedlichen Ansätzen in der Diskussion. Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Klar ist aber, dass die SPÖ am Ende eines Prozesses eine Entscheidung treffen muss: Wofür steht die SPÖ, unabhängig davon, was Einzelne in diesem Zusammenhang anders sehen würden.
STANDARD: Wäre es so eine Katastrophe gewesen, wenn einzelne Abgeordnete im Parlament dagegen gestimmt hätten, anstatt sich bei der Abstimmung entschuldigen zu lassen?
Gusenbauer: Der Punkt ist, wo beginnt das und wo endet das. Eine Partei wie die SPÖ muss dafür Sorge tragen, dass ihre Linie im Parlament auch vertreten wird. Dafür haben wir gesorgt.
STANDARD: Präsentiert sich die ÖVP derzeit als potenzieller Partner?
Gusenbauer: Die ÖVP ist derzeit auf dem Weg, die schmutzigste Partei in Österreich zu werden. Das sieht man nicht nur an den Wahlkampfmethoden in der Steiermark, Ähnliches sieht man auch in Wien, auch aus dem Burgenland habe ich solche Berichte. Die ÖVP ist eine rückgratlose Partei, der es nur um die Macht geht und die im Wettbewerb um die schmutzigste Partei derzeit die Nase vorn hat.
Wir als Sozialdemokraten wollen mit solchen Methoden nichts zu tun haben. Dieser Stil der ÖVP soll in Wirklichkeit die absolute Unfähigkeit und Untätigkeit bei der Bewältigung der Probleme unseres Landes kaschieren. Was die Jugend in unserem Land betrifft, deren Chancen und Möglichkeiten, so zeigt die ÖVP, dass sie weder den Handlungswillen, noch die Handlungsfähigkeit hat.
Das ist symptomatisch für das Gesamtagieren dieser Regierung. Ich habe den Eindruck, die ÖVP ist programmatisch und inhaltlich völlig ausgeronnen. Als Konsequenz daraus organisiert sie jetzt mit noch größerer Brutalität Schmutzkübelkampagnen, wo immer Wahlen stattfinden. Das ist für eine Kanzlerpartei nicht angemessen.
STANDARD: Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat gemeint, die SPÖ betreibe auf Bundesebene nur deshalb kein "dirty campaigning", weil sie organisatorisch dazu nicht in der Lage sei. Fühlen Sie sich da nicht gefrotzelt?
Gusenbauer: Es hat niemand Zweifel an den strategischen Kapazitäten der SPÖ-Wien. Und ist Ihnen schon "dirty campaigning" vonseiten der Wiener SPÖ aufgefallen?
Es fehlt keine Analyseabteilung in der Löwelstraße, aber es stimmt, dass unsere Strukturen darauf ausgerichtet sind, Probleme in unserer Gesellschaft aufzuzeigen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Daher konzentrieren wir uns auf den konstruktiven Teil der Politik, während sich die ÖVP auf den destruktiven Teil konzentriert.
STANDARD: Aber diese Aussagen von Häupl waren ja kein Kompliment, das war doch ein ziemlicher Untergriff.
Gusenbauer: Ich habe die Aussagen Häupls nicht als untergriffig verstanden, sondern als klaren Hinweis darauf, dass bei uns eben die Prioritäten anders gesetzt sind als bei der ÖVP.
STANDARD: Nach dem EuGH- Urteil werden jetzt Zugangsbeschränkungen an den Universitäten diskutiert. Sind diese unausweichlich und wie könnten sie ausschauen?
Gusenbauer: Sie sind absolut nicht unausweichlich, das ist nur eine Frage der Kapazitäten. Ich bin strikt gegen Zugangsbeschränkungen. Wenn jetzt für deutsche Studenten der Zugang gleich gestaltet wird, bedeutet das, dass unter Umständen einzelne österreichische Studenten keinen Studienplatz bekommen.
Das kann man einfach dadurch lösen, indem man die Kapazitäten an den Universitäten ausdehnt, sodass österreichische Studenten nach wie vor einen uneingeschränkten Zutritt erhalten. Wenn man das Problem ernst nimmt, müsste im Wissenschaftsministerium Tag und Nacht gearbeitet werden, um diese Plätze bis Oktober herzubringen.