Reichenau - Heidegger war nichts als ein "Voralpenschwachdenker" und Stifter auch nicht mehr als ein "Prosaverwischer", gar nicht zu reden vom "kompositorischen Müll" Bruckners oder vom "Marschmusikkopf" eines Beethoven! Thomas Bernhard, bei dem jeder hohe Ton über die Kunst an deren eigener Lächerlichkeit vergeht, betrieb in der Prosa-Komödie Alte Meister unsanft die Dekonstruktion geistiger Ahnen.

Es erledigt sie Reger, die Hauptfigur des Romans, ein 82-jähriger, in Wien lebender Musikkritiker der Times, ein Mensch, der bekanntlich seit 36 Jahren jeden zweiten Vormittag (außer montags) den Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums aufsucht, um sich dort zwanghaft in die Betrachtung von Tintorettos Gemälde vom Weißbärtigen Mann zu vertiefen.

Hermann Beil, in den Berliner-Ensemble-Ferien oftmals in Reichenau zu Gast, hat Last und Güte dieses Kunstbetrachtungssermons auf alle drei Schauspieler aufgeteilt: Martin Schwab als Reger, Erwin Steinhauer als Gelehrter Atzbacher und Toni Böhm als Museumsaufseher Irrsigler. Sie alle drei umspiegeln auf der schönen, die dunkle Museumsluft atmenden Bühne Peter Loidolts (Licht: Lukas Kaltenbäck) in indirekter Rede ihre eigene oder die jeweils anderen Figuren.

Ein kluger Kunstgriff des Regisseurs Beil, den er dem Chefdramaturgen Beil zu verdanken hat. Unklug an diesem Abend scheint, bis auf Martin Schwab, die Besetzung: Erwin Steinhauer gleitet in seiner Redefigur oft ab in eine soignierte, mimisch unterstrichene Ironie, die aus einer Distanz zur Tragik deren Undenkbarkeit macht. Und dass man mit Toni Böhm in der kleinen Rolle des Aufsehers Irrsigler, hinter Krankenkassenbrillen, einen Schauspieler verschwendet, stimmt einen ebenso ratlos.

Luxuspause In Reichenau stehen die Reichenauer Gesetze fallweise doch über denen des Theaters. Dazu zählte an diesem Abend auch die unnötige Pause, die nach einer Stunde und vor einer weiteren Dreiviertelstunde eingelegt wurde.

Dabei war man gerade in das Tempo der Aufführung eingesunken: Beil hat die Reger'schen Sätze schön dirigiert, mit Bachs Kunst der Fuge als Gedankenpausenmusik. Martin Schwab verlautet sie so perfekt, so präzise wie gehabt: auf den Zehen wippend, das "r" über Gebühr rollend.

Dass im Theater Reichenau enthusiastischer Schlussapplaus den Sätzen folgte, für die der Dichter noch vor nicht allzu langer Zeit als Österreichvernaderer gebrandmarkt war, verwundert bei aller inzwischen erfolgten Bernhard-Entwarnung immer noch. Auch, dass ehrwürdige ältere Damen japsend mit dem Operngucker wackeln, wenn vorn vom "Siechenhaus Österreich" oder von katholisch verdorbener Staatskunst die Rede ist. (Margarete Affenzeller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 7. 2005)