Bild nicht mehr verfügbar.

Portofinos Yachten im Fokus der Badegäste. Zum Schwimmen geht man besser in die Abtei San Fruttuosa.

Foto: Archiv
.... Cappuccino auf der Terrasse oder Gnocchi im Winter beim Urlaub am Bauernhof


Keine Ahnung, ob er zum Schluss untergegangen ist, der Film war mir immer eine Popcorn-Packung zu fad. Aber jetzt taucht er auf, der geschniegelte Typ von der "Titanic", einen Extraschwimmreifen hatte er sich sicherheitshalber auch zugelegt. Und schon taucht er wieder ab. So ist das eben, wenn man mit Leonardo DiCaprio im Swimmingpool steht. Nichts Besonderes an sich, einen Bauch-Vergleich macht man instinktiv schon. Das "Titanic"-Trauma abarbeiten muss man allerdings nicht. Leonardo hingegen schon. Taucht unter, taucht auf, taucht unter, taucht auf. Überlebt prustend mit Müh und Not den Pool. Verzieht sich dann erschöpft auf die Wiese, vorbei an den Oleanderbüschen und der rosaroten Villa Splendido.

Reminiszenzen an die Riviera entrollen sich jedem, der dort zum Unbill der lokalen Motoristi die Kurvenstraße entlangschleicht, denn fürs Bebildern der noch weißen, aber auf jeden Fall vorreservierten Familienalben-Flecken sowie für das Verstopfen der kleinen Küstensträßchen sind Reisen in diese Gegend ja schließlich auch da. Die Villa Splendido, auch das muss man sagen, gehört durchaus zu den besseren Sujets. Erstens liegt sie wie eine Loge hoch über Portofino, immerhin das teuerste Yachthafen-Oval Liguriens.

Zweitens aber verschmelzen hier wesentliche Elemente, die exemplarisch wohl auch für die Riviera stehen mögen, für dieses zwischen archaischer Fischermaloche und Theaterkulisse geschickt inszenierte Kunstprodukt. Manches davon spürt man mehr, als dass man es sieht, etwa in den Fingerspitzen, mit denen man die Broschüre über die Geschichte des Hotels durchblättert. Von jener verschollenen Einsamkeit ist da die Rede, die jene Mönche empfunden haben mögen, die das Kloster einst bewohnten, bevor es im 16. Jahrhundert Sarazenen niedermachten. Und von wolligen Schafen, die um die Ruine auf dem Steilhang blökten, so lange, bis auch hier der übliche reiche Märchen-Brite auftauchte, sich des maroden Mauerwerks erbarmte, ein superelegantes Sommervillen-Schnäppchen bauen ließ. Ladys mit Sonnenschirmchen und Riechsalz-Trickregister, Herren mit weißen Hüten und fescher Grappa-Fahne drängen ins Bild, vermutlich war auch der Graf von Monte Christo zu Besuch.

Der Operngucker-Blick

Es ist aber auch die Steilheit des ligurischen Geländes, die Akkuratesse der unmittelbar zur Küste hin abfallenden Hänge, das von Buchtspitze zu Buchtspitze verlaufende Zickzack der Küste, das den eigentlichen Grundstein zum opernreifen Setting - zum traditionellen Ferien-Schauspiel - legt: Einerseits steht da die Kulisse der deckend übereinander gestapelten Fassaden, die fachkundig und in erdigen Tönen zwischen ockerfarben und ochsenblutrot an den Hängen leuchtet, weniger gemalt als getupft und von dem einen oder anderen äschestück und Balkönchen sachdienlich geschmückt.

Andererseits wird die Vertikale durch das Element der Terrasse im größeren Maßstab ergänzt: der Hafenpiazza. Wer beim Fischerdorf Paraggi geduldig an der elektronischen Anzeigetafel die Wartezeit zur Portofino-Zufahrt abliest, kommt sich vielleicht wie ein ausgesperrter Theaterbesucher vor der bestürmten Abendkassa vor. Wer am chronischen Sommerstau vorbei in Badelatschen die Serpentinen weitergeht oder, besser noch, im Fährboot anreist und Portofinos Hafenrund betritt, wird freilich sehen, dass das Stück täglich zu sehen ist: Segelschuhe tragen die Dandys, und die Juweliere stehen mit Ringen unter den Augen vor ihren kleinen Läden.

Wer dem entkommen will, steigt einfach ins Wasser und schwimmt zwischen den Yachten ein wenig spazieren. Oder lässt sich um die Steilküste des Parco Naturale Monte di Portofino schippern, hinüber an die Abtei San Fruttuoso, Italiens berühmtestes "Badekloster".

Die vertikale Republik

Alles was man sich von der Gegend erwartet, ist seit Langem da: blaugrünes Wasser und ein kleiner Kiesstrand, dessen Knirschen in Schräglage Sommersymphonien beschert. Teurer Cappuccino auf der Terrasse und ein Außenbordmotor, der Wasserjet-Stronzo, der seit Mittag nervt. Portofino ist überall. Zumindest als Prinzip.

Manche Orte treiben es dabei auf die Spitze. Camoglio etwa, die ehemalige Seerepublik mit der mittelalterlichen Wolkenkratzer-Skyline. Bis zu acht Stockwerke ließen die einst international begehrten Segelklipper-Kapitäne und Steuerleute der alten Handelsstadt ihre schmalen Häuser auftürmen, dem Platzmangel des einstigen Booms - um 1850 rüstete Camogli doppelt so viele Schiffe wie Hamburg aus - Rechnung tragend. Mehr dem klassischen, tief eingeschnittenem Hafenrund verpflichtet ist Nervi, der bonbonfarbene Villenvorort Genuas, während sich weiter im Osten der levantinischen Riviera - wie der gesamte Abschnitt östlich von Genua genannt wird - der Fokus von der Villenterrasse in Richtung Bauernbuckel verschiebt.

Echte Handarbeit ist nämlich die Basis der bizarren Landschaft der Cinque Terre, ein ligurischer Coverstar seit den Siebzigern, dem die eigene Schönheit der über dem Meer an den Fels gekrallten Dörfer zum Verhängnis werden könnte. Denn Hand anlegen müsste man auch weiterhin an den steilen Weinberg-Terrassen, deren unterste Rebstöcke von der Gischt geleckt werden, und die die Region prägen. Doch längst fehlen für die Wartung der fast 7000 Kilometer langen Trockenmauern die Kräfte. Rentabel sind die 300.000 Flaschen des weißen, blumig duftenden "Cinque Terre", den die Winzer im schwierigen Gelände produzieren, kaum noch.

Heute holt sich der Wald erste Flecken brachliegendes Weinland zurück, und nach starken Regenfällen stürzte gar ein kleiner Teil der Hänge ins Meer. Eine gesamte Kulturlandschaft kommt dabei ins Rutschen. Also das Ende der vertikalen Dorfwelt? Auf dieses Schauspiel ist man in Ligurien immer schon eingestellt: In der Regel ist es zugleich der Anfang des Meeres. (Der Standard, Printausgabe 16./17.7.2005)