Aber die Einwohner von Astol entschieden sich lieber für ein Dorf. Ein echtes Fischerdorf, mit allem, was in der südschwedischen Provinz Bohuslän so dazugehört: zwanzig, dreißig weißgelackte und falunrot gebeizte Holzkaten, in bescheidener Dimensionierung in die Runzeln der Insel geduckt und am glatten Granitboden praktisch festgeschraubt, mit Stahltrossen zusätzlich gegen stürmische Winde gesichert.
Ferner eine zwar winzige, aber das ganze Steininselchen aromatisierende Fischräucherei. Einige mehr oder weniger bunte Kähne. Und dazu schließlich all die übrigen Versatzstücke des guten alten Schären-Klischees, das Schwedenurlaubern nun einmal unter die Haut geht: Möwengekreische und -geflattere. Frischer Algengeruch. Und Pfeifentabakwölken, die sich Richtung blauem Himmel kräuseln, ausgepafft von einem unrasierten Rollkragenpulli-Träger, der mit dem morgenkalten Benzinmotor seines Außenborders asthmatisch um die Wette keucht. Andere schwedische Archetypen sucht man auf Astol hingegen vergebens: von Saabs, Volvos, Scanias keine Spur.
Dieser Meinung sind auch die vielen Fremden, die zwischen Mai und September mit matrosenblauen Kapitänsmützchen und gelben Gummistiefeln über den schwarz-weiß gestreiften Inselgranit wetzen. Längst leben die meisten Astoler von ihnen, dabei umspült das Meer jenseits der Bilderbuchinsel auch noch ein angrenzendes Bilderbucharchipel - und schmirgelt Bohusläns Schärengarten im Rhythmus des Tidenhubs zu einer der schönsten Küsten Europas zurecht.
Wo sonst, wenn nicht hier, sollten sich die Schweden ihre "sommerstuga" erträumen, das naturnahe Holzhäuschen, dessen Surrogate als Wohnwagen oder Freizeitboote alljährlich von Stockholm, Malmö, Göteborg oder dem benachbarten Oslo Richtung Sommernachtstraum ausschwärmen?
"Goldene Küste" nennen die Schweden den 400 Kilometer langen Abschnitt zwischen Halmstad und der norwegischen Grenze, der seinem verheißungsvollen Namen vor allem nördlich von Göteborg, längs der Provinz Bohuslän, gerecht wird. Bernsteingelbe, wuchtige Granitfelsen, vom Frost gesprengt und von der Brandung an den Kanten, Ecken rundgeleckt, wechseln hier mit rosafarbenem Gestein und winzigen Sandbuchten ab. Jede zweite Ecke ein geschütztes Plätzchen inmitten malerisch zerschründeter Landschaft. Jede dritte eine private Badewanne mit Granitstufen und Blick auf dunkelblaues Wasser.
Ein Geheimtipp bleibt die westschwedische Riviera dabei durchaus: attraktiv für Segler und Surfer, die zwischen den zahlreichen unbewohnten, mitunter labyrinthisch verstreuten Inselchen die eigene Fähigkeit zur Orientierung neu ausloten mögen. Und lohnenswert für Hobbyzoologen. Am nahen Gullmarsfjord - Schwedens einzigem Fjord - können diese wahlweise auf den Seehund kommen oder zahlreiche weitere Naturattraktionen entdecken: Brutvögelkolonien mit Originalsoundtrack etwa; die nie gerodeten Fjäll-Gebiete rund um die Bullaren Seen; oder aber den Muschelberg von Bräcke bei Uddevalla - eine ozeanische Ablagerung aus neunzig verschiedenen Muschel- und Krabbenarten. Sie erinnert an jene Tage, als die Küstenlinie noch zehn Kilometer weiter landeinwärts verlief.
Abgesetzt vom Meer agierten auch die bronzezeitlichen Kollegen des eingangs erwähnten Mordillo: Tanums Steinritzungen gelten als die umfassendsten ihrer Art und wurden 1994 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt - ein frühzeitlicher Cartoon, der beim Örtchen Vitlycke auf über 200 Quadratmeter Sichtfläche und in gegenwärtig rostroter Kolorierung von 3000 Jahre alten Schlachten, Schiffen, Jagdszenen und Romanzen erzählt.
Ruhiger verläuft heute die Koexistenz von Fischerei und Sommerfrische. Fiskebäckskil, der Ort mit dem reizendsten Namen, beweist dies stellvertretend für ähnliche Inselchen sonder Zahl: Vis-à-vis des kleinstädtischen Lysekil, das seit dem 19. Jahrhundert romantisch gestimmte Bürger mit weiß gestrichenen Holzhäusern, verglasten Veranden, viel gelbem Mauerpfeffer und gestreiften Liegestühlen begrüßt, liegt das ehemalige Fischerörtchen. Einige steile Gässchen. Möwen, kreischend, wie gehabt. Stündlich eine Fähre aufs Festland, und sonst viel, viel Ruhe, so sieht es am Bohusläner "Fischrücken" Fiskebäckskil aus. Am schönsten wird der Ort freilich erst im Altweibersommer, wenn die Spitzenstore bereits leicht verrutscht und die entzückten Urlaubermassen ausgedünnt sind. Rote Ebereschen führen dann in flammenden Alleen zu verwaisten Buchten. Am besten, man läuft einfach zwischen den braunroten Granitbuckeln hindurch. Oder aber geht der Nase und den Ohren nach. Man kann das Meeresplätschern ohnehin fast überall hören: Als Antwort auf knatternde Segel trägt es der Wind heran. Als gurgelnder Unterton entströmt es den ausgespülten Steinlöchern, in denen die Flut ihre salzig frischen Algen-Garnelen-Potpourris vor sich hin kocht. Und als Fiskebäckskiler Nationalhymne sowieso. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/15/7/2005)
Anreise:
z.B: mit der SAS: www.scandinavian.net Wien-Göteborg-Wien.
Oder mit dem Auto mit Scandlines: www.scandlines.de von Rostock nach Trelleborg
Oder über Dänemark/Öresundbrücke: Puttgarden-Rödeby
Weitere Info:
Schweden Werbung Michaelisstraße 22, D-204 59 Hamburg
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