Kanzler Schüssel fordert zur Terrorbekämpfung eine sorgsame Überwachung der Netzwerke.

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Bundeskanzler Schüssel schiebt den Rektoren die Schuld am Schlamassel zu: "Von den Universitäten kann niemand sagen, die Politik hat sie im Stich gelassen." Vor der EU-Präsidentschaft dämpft er die Erwartungen. Mit Schüssel sprach Michael Völker.

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STANDARD Wie sind Sie mit dem ersten Halbjahr zufrieden? Das war eine ziemlich turbulente Zeit. Sie haben einen anderen Koalitionspartner, zumindest mit neuem Namen.

Schüssel: Ich bin sehr zufrieden. Wir haben eine unheimlich reiche Arbeitsbilanz. Wir haben mit dem 100. Ministerrat, den wir in dieser Woche absolviert haben, gezeigt, dass wir sehr professionelle Arbeit geleistet haben. In dem Halbjahr sind ein paar ganz spektakuläre Dinge, die das Herzstück der Regierungsarbeit dieser Legislaturperiode betreffen, gelungen: Steuerreform, Asyl, Bildung, Sicherheit.

STANDARD: Aber gerade im Uni-Bereich knirscht es doch ganz gewaltig. Die Universitäten sind auf den Ansturm nicht vorbereitet. Offensichtlich sind Zugangsbeschränkungen notwendig, die Universitäten aber nicht in der Lage, das ordentlich umzusetzen.

Schüssel: Das Urteil des EuGH wirft einige Fragen auf. Entweder es gelten die Spielregeln des Herkunftslands, wie das auch in vielen Bereichen am Arbeitsmarkt verlangt wird, oder es gelten die Spielregeln des Ziellandes. Ich kann nicht beides mischen. Aber im Prinzip betrifft dieses Urteil nur ein Prozent der österreichischen Studenten. Mich irritiert ein wenig diese Kriegsberichterstattung, die da jetzt Platz greift.

STANDARD: Aber das betrifft ja einen ganz wesentlichen Teil der universitären Fortbildung. Sämtliche Medizin-Unis sind hoffnungslos überlaufen.

Schüssel: Die möglichen Auswirkungen eines solchen Urteils wurden seit Langem mit den Rektoren diskutiert. Es war erkennbar, dass dieses Urteil in diese Richtung geht. Es gab also genügend Vorbereitungszeit für die Universitäten. An sich haben die Rektoren ihre Vorschläge deponiert, diese Vorschläge sind von der Ministerin und vom Parlament umgesetzt worden. Es kann niemand von den Universitäten sagen, die Politik hat sie im Stich gelassen, ganz im Gegenteil.

STANDARD: Wie soll denn nun ausgesiebt werden?

Schüssel: Eine Qualitätsauslese ist notwendig und steht auch nicht im Widerspruch zur Offenheit der Universitäten. Denn Qualität und Leistung sind dort eigentlich das oberste Prinzip.

STANDARD: Tatsächlich geht es jetzt nach dem Prinzip "first come, first serve". Das hat doch mit Qualität nichts zu tun.

Schüssel: Das ist ja nur eine aktuelle Maßnahme einzelner Universitäten, die verständlich ist. Das Urteil wurde nicht besonders sensibel ausgerechnet mitten in die Vorinskriptionszeit hineingelegt.

STANDARD: Halten Sie es für einen gangbaren Weg, als Kriterium für die Zulassung zu einem Studium die Maturanoten heranzuziehen?

Schüssel: Das ist in Deutschland der Fall, nicht in Österreich. Wir haben in Österreich einen anderen Weg gewählt, nämlich über Eingangssemester, in denen über Qualitätskriterien eine Auswahl getroffen wird.

STANDARD: Die ÖVP transportiert jetzt einen kleinen Disput in die Öffentlichkeit: ob die SPÖ jetzt als konstruktiv einzuschätzen ist oder nicht und ob sie regierungsfähig ist.

Schüssel: Ich halte es für sinnvoll, dass die große Oppositionspartei beim Asylgesetz mitgegangen ist. Ich schätze das und anerkenne das. Aber es war auch in ihrem Interesse. Die überwältigende Mehrheit der Österreicher wünscht ein schärferes Asylgesetz, das vor allem die Missbräuche, die es gibt, abstellt.

STANDARD: Aber die internen Turbulenzen, in die die SPÖ geraten ist, werden Sie doch mit Schadenfreude erfüllt haben.

Schüssel: Überhaupt nicht. Es ist natürlich für jede politische Partei schwierig, eine Balance zwischen den notwendigen Verschärfungen und dem Bewahren einer offenen Gesellschaft zu finden. Das ist auch in der Terrorbekämpfung wichtig. Da gibt es keine einfachen Antworten. Wir wollen eine offene Gesellschaft bleiben, mit allen rechtsstaatlichen Errungenschaften. Wir müssen trotzdem wehrhaft sein gegen eine verschwindende Minderheit von feigen Attentätern, die genau diesen Rechtsstaat untergraben will und seine Freiheiten in einer absolut verbrecherischen Weise für sich nützt.

STANDARD: Ist eine Verschärfung der Gesetze zugunsten der Terrorbekämpfung zulässig?

Schüssel: Österreich hat in manchen Bereichen ja schon früher als andere den Sicherheitskräften ein gutes Instrumentarium zur Verfügung gestellt. Wir haben ganz bewusst an manchen Stellen eine öffentliche Überwachung, wir haben eine Vernetzung der Dienste, Heeresnachrichtendienst und Staatsschutz arbeiten eng zusammen.

STANDARD: Soll die Telefonüberwachung ausgeweitet werden?

Schüssel: Wir haben mit allen Telefonanbietern die Möglichkeit geschaffen, dass Gesprächskontakte aufgezeichnet werden. Wenn gewünscht wird, dass man das von sechs auf zwölf Monate ausdehnt, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Ich warne nur davor, dass man glaubt, hier ist schon der Stein der Weisen gefunden, um präventiv solche Anschläge unmöglich zu machen. Das erleichtert die Verfolgung, aber die Verhinderung solcher Straftaten ist damit nicht gewährleistet. Da ist eine sorgsame Überwachung von Netzwerken erforderlich, eine präventive Strategie im Vermeiden von Radikalisierungen, im Aufspüren von Rekrutierungsmöglichkeiten. Da ist Österreich Vorreiter. Wir schaffen in der Schengen-Gruppe mit Deutschland, Frankreich, Spanien und den Benelux-Staaten ein Kerneuropa der Sicherheit. Ab dem Herbst kann die Polizei über die Grenzen hinweg auf heikle Daten zur Terrorbekämpfung zugreifen. Das sollte auf die gesamte EU ausgeweitet werden.

STANDARD: Sie haben sich unlängst nach dem gescheiterten Budget-Gipfel in Brüssel über die "geschwollene Ausdrucksweise" von EU-Repräsentanten beschwert, von wegen, man müsse Europa lieben. Was ist denn Ihr Verhältnis zur EU?

Schüssel: Mir wäre wohler, wenn man von dieser emotionalen Aufladung zu einer nüchternen aber zugleich auch sehr optimistischen Grundbewertung kommen könnte. Dass man erkennt, was für Chancen in diesem Projekt stecken, und sich fragt, was wir dazu beitragen können. Nicht, dass sich Europa als eine Königstochter gebärden muss, die ständig das Knie entblößt, damit sie auch von allen geliebt wird. Wir müssen erkennen, dass dieses Europa ein lebendiger Organismus ist, der gestaltet wird, zu dem wir stehen und zu dem wir Ja sagen müssen, um bei aller Unvollkommenheit etwas Besseres daraus zu machen.

STANDARD: Werden "wir" während der österreichischen EU-Präsidentschaft ein Budget machen müssen, werden "wir" eine neue Verfassung zimmern müssen?

Schüssel: Die zweite Frage kann man ganz klar mit Nein beantworten, es wird sicher in der österreichischen Präsidentschaft keine neue Verfassung geben. Zur ersten Frage: hoffentlich Nein. Hoffentlich werden die Briten die Finanzvorschau lösen. Wir hätten dann die auch sehr schwierige Aufgabe, die Umsetzung der Finanzvorschau in die Wege zu leiten. Wir dürfen uns aber nicht den Anspruch aufs Aug drücken lassen, Österreich müsse in seiner Präsidentschaft die Welt verbessern, jedenfalls Europa verändern. Dieser Anspruch wird von keiner Präsidentschaft erfüllbar sein. Wir sollten aber auch der Tendenz widerstehen, dass wir uns kleiner machen als notwendig. Also weder die Verösterreicherung der EU noch das "Trau ma uns nix, lieber nicht auffallen". (DER STANDARD, Printausgabe, 14.07.2005)