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Foto: AP/ Rebecca Reid
Unter dem Eindruck der neuerlichen Terroranschläge fällt es schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren, ohne dafür gleich einer fehlenden Solidarität mit den Opfern und deren Angehörigen bezichtigt zu werden. Faktum ist: Nach jedem Anschlag wird es zunehmend schwieriger, die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu halten. Natürlich muss alles Erdenkliche unternommen werden, um dem Terror die Stirn zu bieten. Aber manche Vorschläge, die nun wieder von politischen Repräsentanten kommen, schießen weit über die Sinnhaftigkeit hinaus und schnippeln höchstens den ebenfalls besonders schützenswerten Bürgerrechten noch ein Stück weg.

Eine EU-weite Speicherung aller Telefonate und E-Mails, wie sie nach Medienberichten der britische Innenminister Charles Clark nun andenkt, ist von der Idee her nichts Neues. Bereits in den späten 90ern des vergangenen Jahrhunderts brüsteten sich große Geheimdienste immer wieder damit, dass sie alle Kommunikationskanäle rund um den Globus angezapft hätten. Eine Behauptung, die wohl eher den kleinen Mann zum Staunen bringen sollte.

Die technische Machbarkeit dürfte zwar kein Problem sein. Aber die Frage ist: Was bringt es? Präventiv können derartige Maßnahmen nicht wirken. Es ist eine Illusion, dass jeder Telefonanruf und jedes E-Mail auf verdächtige Inhalte überprüft werden kann. Auch automatische Worterkennungsprogramme, die bei der Erwähnung von "Bombe", "Bin Laden" oder anderen suspekten Formulierungen Alarm schlagen, sind nutzlos, weil die Masse von infrage kommenden Verdachtsmeldungen nicht rechtzeitig überprüft werden kann. Die Technologie dient höchstens im Nachhinein zur möglichen Rekonstruktion von Abläufen. Und das sollten Verfechter der modernen Technologie auch klipp und klar feststellen.

Mit Angst werden seit jeher politische Geschäfte betrieben. Zum Teil ist das erklärbar. Soll sich eine Regierung nach einem Anschlag hinstellen und zugeben, dass die Abwehrmechanismen versagt haben? Dann wäre sie wohl politisch erledigt. Was bleibt, ist die Flucht nach vorn.

Schon im Vorjahr nach den Bombenattentaten von Madrid war zum Beispiel der deutsche Innenminister Otto Schily knapp daran, den Boden der Rechtsstaatlichkeit zu verlassen. Dass ausländische Terrorverdächtige aufgrund einer "Gefahrenprognose", aber ohne konkrete Indizien unverzüglich außer Landes oder in Sicherheitshaft geschafft werden sollten, war ein schwerer Schlag gegen die persönlichen Grundrechte. Und auch nun reiht sich Schily wieder in die erste Reihe der Rufer nach einer Erweiterung der Befugnisse für die Sicherheitsbehörden.

Österreich blieb seit den US-Terrorattentaten auch nicht untätig und hat vor allem die polizeiliche Überwachung forciert. Die erweiterte Videoüberwachung dient zwar in erster Linie der Bekämpfung der "herkömmlichen" Kriminalität, ist aber ohne Zweifel nur im allgemeinen Antiterrorklima seit den verheerenden Anschlägen von 9/11 möglich geworden.

Vor einigen Jahren wurden Lauschangriff und Rasterfahndung auf breiter Ebene diskutiert, heute werden einschneidendere Gesetze fast ohne Widerspruch durchgepeitscht. Ob damit tatsächlich globale Bedrohungsszenarien, zunehmende Gegensätze zwischen Arm und Reich, Überbevölkerung und Not sowie Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekämpft werden können, ist aber mehr als fraglich. In diese Richtung lenkt auch Bundespräsident Heinz Fischer die Diskussion, wenn er vor "überschießendem Haß als Folge des Terrors" warnt.

Immerhin, nach Einschätzung von Geheimdiensten können rund 90 Prozent aller Anschläge bereits im Vorfeld vereitelt werden. Ein ehemaliger IRA-Terrorist hat diese beachtlich erscheinende Quote aber vor Kurzem so relativiert: "Die Behörden brauchen zur Verhinderung eines Anschlages immer Glück, der Gegenseite reicht es aus, wenn sie bei zehn Versuchen einmal erfolgreich ist." (DER STANDARD, Printausgabe, 11.07.2005)