Der weltberühmte Gitarrist Ry Cooder vor einer alten Stadtkarte, die den Bezirk von Los Angeles zeigt, nach dem sein neues Album benannt ist: "Chávez Ravine".

Foto: Warner
Auf "Chávez Ravine" beschwört er die abenteuerliche Geschichte und die Musik dieses fast verschwundenen hispanischen Stadtteils von Los Angeles.


Wien - "I outlived those bastards after all", singt der 93-jährige Frank Wilkinson. Doch es ist eher die nüchterne Feststellung eines alten Mannes als eine wirkliche Genugtuung. Immerhin fleht er davor: "Please trust me, my name is Frank, don't turn me down. Don't call me red."

Das Stück klingt wie eine abgebremste Rumba. Doch nicht Amouröses oder Lebensfreude sind ihr Thema. Das in den Song eingearbeitete Tonmaterial von politischen Untersuchungsausschüssen, unterlegt mit wilden Bläsern, konterkariert seine scheinbare Harmlosigkeit und legt offen, worum es darin tatsächlich geht: um politische Verfolgung, Machtmissbrauch und Denunziation.

Don't Call Me Red ist so etwas wie der Schlüsselsong des eben erschienen neuen Albums von Ry Cooder, Chávez Ravine. Der darin auftretende Frank Wilkinson war in den 50er-Jahren Wohnungsbaubeauftragter für den Stadtteil Chávez Ravine im Osten von Los Angeles - einer hauptsächlich von Hispanics bewohnten Gegend. 1950 beschloss die Stadtregierung, dieses wild wuchernden Bezirks und seiner meist armen Menschen mit den Mitteln des sozialen Wohnbaus Herr zu werden. Doch es sollte anders kommen.

Nachdem das Viertel trotz der Proteste seiner Bewohner platt gewalzt worden war, traten die Grundbesitzer ihre Eigentümerschaft zwar an die Stadt ab. Diese ließ dort jedoch nicht wie geplant neue Häuser errichten, sondern verkaufte das Grundstück an Walter O'Malley, den Besitzer der New Yorker Baseball-Mannschaft Brooklyn Dodgers - der ein riesiges Stadion in Chávez Ravine baute. Wer sich wie Frank Wilkinson gegen dieses Unrecht auflehnte, wurde Kommunist geschimpft - und bekam die Härte der fanatischen McCarthy/ Kohn-Ära zu spüren.

"A Los Angeles Story"

Vor vier Jahren wandte sich der Fotograf Don Normark an Ry Cooder. Normack hatte in jungen Jahren Chávez Ravine und seine Bewohner fotografiert und deren Geschichte in dem auch Cooder bekannten Fotoband Chávez Ravine, 1949: A Los Angeles Story, festgehalten. Er plante ein Wiedersehen mit Bewohnern von früher, das er filmisch festhalten wollte. Cooder bot an, dafür die Musik zu liefern.

Immerhin hat er als in Los Angeles Geborener selbst wache Erinnerungen an diese Gegend und seine Geschichte, die wie einem James-Ellroy-Roman entnommen wirkt. Außerdem weiß man spätestens seit der Welteroberung des von ihm initiierten Buena Vista Social Club und seiner Protagonisten, die der kubanischer Musik einen weltweiten Boom bescherte, dass Ryland Peter Cooder ein instinktsicherer Besessener ist, wenn es um das Aufstöbern und das Beleben fast schon verschwundener Kulturen und deren Musik geht.

Vor den alten Kubanern widmete sich der heute 58-Jährige der Tex-Mex-Musik des amerikanisch-mexikanischen Grenzlandes, hawaiischer Folklore oder der Musik von Mali. Auch sein eigenes, bewusst leger gehaltenes und dadurch wunderbar lebendig erscheinendes Gitarrenspiel wäre ohne den Einfluss des von den Bahamas stammenden Gitarristen Joseph Spence nie so erblüht. Nachzuhören auf Alben wie Paradise & Lunch oder Into The Purple Valley. Weltberühmt wurde er jedoch mit seinen Filmmusiken wie etwa zu Wim Wenders Paris, Texas.

Trotz des tristen Hintergrunds ist Chávez Ravine, das "Poor Man's Shangri-La", wie es am Album liebevoll genannt wird, kein depressives Machwerk geworden. Der mehrfache Grammy-Preisträger beschwört neben den Schattenseiten der Geschichte auch die lebendige Kultur dieses Schmelztiegels.

Unter Einbeziehung alter Stars dieser Kommune wie Little Willie G. oder der unlängst verstorbene Sänger Lalo Guerrero sowie Nachgeborenen wie Mike Elizondo - bekannt als rechte Hand des HipHop-Produzenten Dr. Dre - führt Cooder durch ein Album, das sich als prächtiger Bastard aus Rhythm 'n' Blues, Mambo, Tex-Mex, Swing, knieweichem Boogie und dem Bar-Jazz eines Tom Waits erweist. Er versucht Einblick zu geben, wie der Sound in den Clubs in der Zeit vor den Bulldozern geklungen hat. Die eingebundenen Zeitzeugen gewährleisten dabei die notwendige Authentizität - und jede Menge Atmosphäre. (DER STANDARD, Printausgabe, 09./10.07.2005)