Aids und Unterernährung seien, so Bjørn Lomborg, größere globale Probleme als die Erderwärmung.


Vor dem G-8-Gipfel in Schottland hat der britische Premier Tony Blair die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die richtigen Prioritäten für Welt zu setzen. Für Blair sind diese Afrikahilfe und Klimawandel. Blair fordert zurecht Prioritäten ein, aber seine Auswahl ist möglicherweise falsch.

Spitzenpolitiker unterstützen klare Prioritäten selten, da sie lieber den Anschein erwecken, als könnten sie jedem alles geben. Sie müssen mit Bürokratien zusammenarbeiten, die eine natürliche Abneigung dagegen haben, ihre Arbeit einer Prioritätensetzung zu unterwerfen, da niemand unterhalb der Nummer eins auf der Liste stehen will. Prioritäten sagen nicht nur aus, wo mehr getan werden sollte (das ist gut), sondern auch, worauf verzichtet werden sollte – und das gilt als zynisch.

Doch wer keine Prioritäten verkündet, erspart sich nicht, zwischen ihnen zu entscheiden. Bloß wird die Wahl weniger deutlich, weniger demokratisch und weniger effizient. Es führt etwa dazu, dass man sich um jene Themen kümmert, die am lautesten diskutiert werden. Das ist falsch. Man stelle sich Ärzte in einem überfüllten Krankenhaus vor, die nicht die Schwerverletzten zuerst behandeln, sondern einfach alle Patienten der Reihe nach drannehmen, aber jene vorziehen, deren Angehörige am lautesten schreien. Fehlende Prioritäten sind ungerecht, verschwenden Ressourcen und kosten Menschenleben.

Was sollten unsere globalen Prioritäten sein? Dieser Frage widmeten sich acht der weltbesten Ökonomen, darunter drei Nobelpreisträger, in einem bahnbrechenden Projekt, dem Kopenhagen-Konsens. Das "Dream Team" versuchte dort, folgende Frage zu beantworten: Wenn der Welt zusätzliche 50 Milliarden Dollar zur Verfügung stünden, wie sollte man dieses Geld am besten ausgeben?

Als oberste Priorität hat sich dabei die HIV/AIDS-Prävention herausgestellt. Ein umfassendes Programm würde 27 Milliarden Dollar kosten, aber der potenzielle soziale Nutzen wäre vierzigmal so hoch: Bis 2010 könnten über 28 Millionen neue HIV/AIDS-Fälle vermieden werden. Dies wäre die beste Investition der Welt.

Vitamine und Netze

Ein ähnlich gutes Kosten- Nutzen-Verhältnis bietet die Bereitstellung von Nahrungszusätzen wie Eisen, Jod oder Vitamin A, die der halben Menschheit fehlen. Zahlreiche Krankheiten könnten auf diese Weise verhindert werden. Die weltweite Zahl der Malariafälle könnte durch Hilfsmittel wie Moskitonetze und Medikamente um 13 Milliarden Dollar halbiert werden. Und mit entsprechendem politischen Willen könnte man für wenig Geld dem weltweiten Freihandel zum Durchbruch zu verhelfen. Dies würde 2,4 Billionen Dollar im Jahr bringen.

Die nächsten Punkte auf der Liste sind landwirtschaftliche Technologien, mit denen der Hunger besiegt werden kann, sowie neue Methoden zur Versorgung mit sauberem Trinkwasser und der Entwicklung von Abwassersystemen. Angesichts der Tatsache, dass diese Probleme in Afrika besonders akut sind, hat Blair mit seiner Prioritätenliste teilweise recht.

Mehr Kosten als Nutzen

Im Kopenhagen-Konsens wurde allerdings nicht nur aufgezeigt, was wir tun sollten, sondern auch was wir nicht tun sollten – zumindest nicht jetzt. Die Experten stuften Klimaschutzmaßnahmen als extrem unbedeutend ein. Diese Vorhaben – einschließlich des Kioto-Protokolls – wurden sogar als "schlechte Projekte" bezeichnet, weil sie mehr kosten als nutzen.

Das soll nicht heißen, dass wir den Klimawandel ignorieren sollten. Die Erderwärmung ist echt. Aber Kioto würde nur wenig helfen: Um einen Preis von 150 Milliarden Dollar im Jahr würde eine bestimmte Temperatur statt im Jahr 2100 erst 2106 erreicht werden. Angesichts knapper Ressourcen müssen wir uns fragen: Wollen wir einen großen Nutzen jetzt erreichen oder wenig Nutzen später? Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir für die Welt nicht mehr erreichen können, wenn wir anders investieren.

Teufelskreis der Armut

Hier soll keineswegs einer Laissez-faire-Politik das Wort geredet werden. Entscheidend sind die Prioritäten. Warum sind bei den jüngsten Wirbelstürmen in Haiti tausende Menschen gestorben und in Florida nicht? Weil die Haitianer arm sind. Sie können sich die meisten vorbeugenden Maßnahmen nicht leisten. Diesen Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, indem man die vordringlichsten Probleme wie Krankheiten, Hunger und schmutziges Trinkwasser in Angriff nimmt, würde nicht nur viel offensichtlich Gutes bewirken, sondern die Menschen auch weniger anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels machen.

Auf der Tagesordnung der G-8 steht eine globale Prioritätenliste. Jetzt ist die Zeit, diese Prioritäten richtig zu ordnen. Das drängendste Problem der Armen auf dieser Welt ist nicht der Klimawandel. Ihre Probleme sind grundlegender: Sie sollten nicht an vermeidbaren Krankheiten sterben, keine Unterernährung wegen mangelnder Vitamine und Spurenelementen erleiden und nicht durch Protektionismus von ökonomischen Chancen ausgeschlossen werden.

Wir können HIV durch die Verteilung von Kondomen und bessere Aufklärung vorbeugen. Wir können Millionen von Menschen durch die Verteilung von Vitamintabletten vor dem Tod durch Unterernährung retten. Hier sind keine Raumfahrttechnologien gefragt, sondern alltägliche Gebrauchsgüter.

Dem Planeten wäre am besten gedient, wenn die besten Projekte als erstes durchgeführt werden. Bei den dringlichsten Problemen der Erde müssen wir einfach die Prioritäten richtig setzen. Das sind wir uns selbst schuldig. (DER STANDARD, Printausgabe, 06.07.2005)