"Die Beiträge brechen uns weg", warnte der Wiener Kassenchef Franz Bittner beim Roundtable mit Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat im Standard vor den Folgen des finanziellen Drucks auf die Kassen. Heimliche Rationierung könnte dann verordnet werden.

***

Als Bismarck im ausgehenden 19. Jahrhundert den ersten Entwurf für ein "Gesetz für Sozialversicherung" vorlegte, waren die Dinge noch etwas einfacher als heute. Teil eins der ambitionierten Sozialreform des deutschen Reichskanzlers war 1883 die Krankenversicherung der Arbeitnehmer. Sie wurde weltweit zum Vorbild.

Basis für die Beiträge war das Arbeitsentgelt. In Zeiten der Industrialisierung ein sinnvolles Arrangement mit breitem Solidarausgleich. Heute, 122 Jahre später, haben die "Nachlassverwalter" des Bismarckschen Sozialversicherungserbes schwer zu kämpfen. "Die Beiträge brechen uns weg. Wir finanzieren das Gesundheitssystem des 21. Jahrhunderts mit Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts", brachte es der Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse, Franz Bittner, am Montag beim "Gesundheitswesen Round Table 2005" im Verlagshaus des STANDARD auf den Punkt.

Auf Einladung der Consulting AG Unternehmensberatung, vertreten durch Robert König und Hans-Jörg Steffl, diskutierten Experten mit Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) darüber, wie das Gesundheitssystem denn nachhaltig gesunden könnte.

Weniger klassische Vollzeitarbeitsplätze, mehr Arbeitslose, mehr prekäre Jobverhältnisse, kapitalintensive, hochprofitable Unternehmen mit wenig Beschäftigten schmälern die dringend benötigten Einnahmen der Krankenkassen, sagte Bittner. Und der Linzer Finanzstadtrat Johann Mayr, langjähriger Direktor der Gebietskrankenkasse Oberösterreich, präzisierte: "Die Frage der Einnahmenerosion muss dringend angegangen werden. Wir haben nicht unbedingt ein Ausgabenproblem. Aber unter dem heutigen Bismarckschen System wird der Druck auf das Sozialversicherungssystem steigen." Als "Hebel" will er Qualitäts- und Effizienzsteigerungen im System, Anreizsysteme für Ärzte und bei der Preispolitik mit den Pharmafirmen "den Markt mehr spielen lassen". Bittner forderte klar "mehr Geld ins System. Wir brauchen eine breitere Beitragsbasis und müssen Wertschöpfungsabgaben zumindest überprüfen, sonst wird man sich irgendwann Rationierungen überlegen müssen. Wir leben schon jetzt in einem System der Rationierungen. Es gibt einen echten Tourismus ,teurer' Patienten zwischen Spitälern und Ländern, etwa bei teuren Implantaten. Das sind erste Alarmzeichen, denen man was entgegensetzen muss."

Gesundheitsministerin Rauch-Kallat beruhigte: "Rationierungen wie in England wird es in Österreich nicht geben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir bei Behandlungen manchmal nicht auch übertreiben." Bei der Beitragsfinanzierung müsse man unbedingt "die soziale Balance halten, um den sozialen Frieden zu wahren".

Andreas Penk, Österreich-Chef von Pfizer, drehte die Perspektive um: "Wir reden immer von den Kosten der Krankheit und blenden die volkswirtschaftlichen Kosten von Krankheit an sich aus. Unser Gesundheitswesen versteht sich als Reparaturbetrieb. Dabei ist es selbst ein nationaler Reichtum." Angesichts der demographischen Veränderungen "ist Gesundheit eine Investition in die Zukunft. Wenn wir dieses Umdenken schaffen, werden wir auch gesellschaftlichen Konsens für die Finanzierung finden", meinte der Pharmamanager.

Ihm schloss sich Pharmagroßhändler Johann Franz Kwizda an und forderte eine Senkung der 20-prozentigen Mehrwertsteuer auf Arzneien, mit der Österreich weit über dem EU-Schnitt von sieben Prozent liege: "Hier muss etwas geschehen - zur Finanzierung des Systems und zum Erhalt der Kaufkraft."

Hauptverbandssprecher Josef Kandlhofer würde am liebsten auf Bismarcks Spuren wandeln und etwas völlig Neues entwickeln: "Unabhängig von ideologischen Scheuklappen die Finanzierung neu diskutieren und Entwürfe aus einem Guss zustande bringen." (DER STANDARD, Printausgabe, 5.7.2005)