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Im Jahr 1995 verfassten Thomas Vinterberg und Lars von Trier das "Dogme 95"-Manifest. Es bestand aus zehn Keuschheitsgeboten. Film pur. Wenig später drehte Thomas Vinterberg "Das Fest, Dogme #1", und dieser Film eroberte die Welt im Sturm. Wäre "Das Fest" nicht ein solches Meisterwerk, das Dogma-Manifest wäre als Schnapslaune in Vergessenheit geraten.

So aber löste der Film eine neue Welle aus, so ähnlich wie "Außer Atem" durch seinen Erfolg erst die französische Nouvelle Vague begründet hatte. Nicht dass es nicht bereits in der Luft gelegen hätte. Die neue Technik, Digital Video, erlaubte es, mit kleinstem Aufwand Geschichten zu erzählen. Wozu lang herumrennen und Geld besorgen, Leute dazu überreden, sich ausbeuten zu lassen, tonnenweise geliehenes Equipment rumschleppen? Jetzt ging es einfacher.

Auch für mich. Ich hatte ein gutes Skript, aber fast kein Geld. Dann sah ich "Das Fest" und kam völlig aufgekratzt aus dem Kino. Geht doch! Noch im selben Sommer drehten wir "Das weisse Rauschen".

Jetzt aber zum Film selbst. Ein Meisterwerk. Mehr noch. Ein Wunder. So etwas passiert nur alle zehn Jahre. Das ist nicht nur Können, das ist Schicksal. Da müssen sich die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort treffen. Außerdem muss es schnell gehen. Von der ersten Idee zu "Das Fest" bis zum Drehbeginn dauerte es vier Wochen, erzählte mir Thomas Vinterberg. Man merkt es dem Film an, die Begeisterung für die Idee ist noch voll drin, da haben nicht tausende Produzenten, Redakteure, Fördergremien und sonstige wichtige Wichte ihren Senf dazugegeben. Vinterberg war 27 Jahre alt, als er den Film drehte, und auch das merkt man.

Katharsis pur

"Das Fest" ist eine einzige Katharsis. Eine dänische Großfamilie, wohlhabend, aber zerrüttet, trifft sich zum 60. Geburtstag des Patriarchen und dann lassen alle alles raus, von innen nach außen. Die erwachsenen Kinder sind ziemlich gestört und bald wird klar, warum: Der Alte hat sie vor 20 Jahren missbraucht, und eine Schwester hat sich deswegen umgebracht. Der Sohn klopft mit der Gabel aufs Glas, steht auf und deckt alles auf, vor der versammelten Verwandtschaft. Ein Blutbad.

Ich komme auch aus einer Großfamilie, und bei uns war das früher ähnlich. Da gab es keine Gnade, alles, was man denkt, wird auch gesagt. Ich kann diese emotionslosen Kühlschränke in den deutschen Filmen der Neunzigerjahre nicht mehr sehen. Was für eine Wüste! Es mag sein, dass die Realität so ist, aber wozu sind wir Künstler denn gut, wenn nicht als Brecher der Kruste, als Psychotherapeuten? Egal - sehen Sie sich diesen Film an, oder sie verpassen eines der wichtigsten Kapitel der Filmgeschichte. Im Ernst. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.7.2005)