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Emmy Werner: "Das Wesen meiner Intendanz macht jene Mischung aus, für die ich häufig kritisiert worden bin. Dafür wurden wir von vielen Menschen sehr gemocht!"

Foto: APA /Artinger
Mit der Aufführung von Hauptmanns/ Brechts "Happy End" fiel am Mittwoch der Vorhang über die 17 Jahre Intendanz Emmy Werners am Wiener Volkstheater. In der Rückschau mit Ronald Pohl entwickelt sie noch einmal jene Streitlust, die ihr wichtigstes Markenzeichen war.


STANDARD: Zwischen der gut gemeinten Eloge auf Ihr Wirken und der Verteufelung von 17 langen Jahren der Wiener Volkstheater-Intendanz Emmy Werners müsste es, schon der Gerechtigkeit halber, doch etwas Drittes, Ausgewogeneres geben.

Werner: Das ist gerade das, was ich selbst sagen würde.

STANDARD: Als durchgängige Erinnerung drängt sich die merkwürdige Verhaltenheit auf, mit der Sie Ihr Wirken verteidigt haben. Entweder fiel der Hinweis, dass die anderen großen Wiener Häuser mehr Mittel hätten. Oder Sie räumten übereifrig das Scheitern von Einzelproduktionen ein.

Werner: Das ist doch nicht wahr.

STANDARD: Sie hätten doch öfter sagen können: So ist es eben, nehmt es hin oder lasst es! Dagegen verblassen jetzt die Leistungen. Kaum jemals wird gesagt: Dieser Regisseur, jene Regisseurin wurden von Emmy Werner gefördert! Welche Handschriften wurden denn entdeckt, welche Eigenleistungen wurden offensiv vertreten?

Werner: Zunächst: Natürlich ist man defensiv. Als selbstkritischer Mensch räume ich aber ein, dass die Betrachtungsweisen voneinander abweichen. Die eine meint: Da ist zu vieles nicht gelungen, da ist keine klare Handschrift erkennbar. Die andere, die dem diametral entgegensteht, sagt: Die Sachen wurden auf meine ganz persönliche Weise geprägt. Irgendetwas wird auf beiden Seiten schon stimmen.

Ich habe außerdem nicht auf die geringen Eigenmittel von heute 10,3 Millionen Euro hingewiesen, sondern auf die 1000 Plätze in einem solchen Riesentheater. Auf meine Unfähigkeit, das Haus leer spielen zu wollen - was vielleicht sogar das Richtige gewesen wäre! Bei einem kleineren Theater könnte man sich das trauen. Hier stehe ich - ich konnte nicht anders. Meine Handschrift liegt in der Summe der Dinge, im kleinsten gemeinsamen Nenner: dass sehr, sehr viele Menschen dieses Theater sehr, sehr geschätzt haben. Fallweise sogar die strengsten Kritiker - wenn sie nicht persönlich ätzend waren. Die aufgeschrien haben, weil ich eine hässliche Brille trage.

STANDARD: Wer, um Gottes Willen, hat denn das getan?

Werner: Das ist mir doch alles passiert! Da hat man auch einen Zorn, aber es ist egal. Wenn hingegen jemandem etwas nicht gefällt - gut. Ich gebe zu, dass wir die Ansprüche mancher Kritiker nicht immer erfüllt haben. Da war gelegentlich zu wenig Qualität vorhanden. Ja. Für wieder andere waren wir vielfach zu wild. Ja, das kann sein: Vielleicht wollte ich zu oft in der Mitte durch.

STANDARD: Gerade dieser sehr honorige Standpunkt lässt doch genau Ihre eigene Positionierung vermissen. Hätten Sie nicht sagen können: Gerade darauf lege ich wert, und wer's nicht mag, ist selbst schuld?

Werner: Aber dort ist meine Position! Nur damit bringe ich doch die Leute ins Theater. Und wenn Sie jetzt fragen: "Was war denn das, wozu Sie rückblickend stehen?", dann kann ich nur sagen: Das war eben diese vielen übel aufstoßende Mischung. Mir war das genug an Radikalität! Der Nächste besitzt jede Möglichkeit, es anders oder besser zu machen.

Aber Sie werden doch nicht glauben, dass Michael Schottenberg nicht ebenso kalkulieren muss: Da stehen total abgesicherte Vorhaben auf seinem Spielplan. Und er hat eines gescheit gemacht: Er lagert Sprödigkeiten in seine Dependance am Hundsturm aus. Eines kann natürlich sein: Ich wünsche ihm eine Hand für junge Regisseure. Da sind uns nicht viele übrig geblieben. Das gebe ich zu. Vielleicht haben wir nicht genug in der Welt herumgeschaut, obwohl ich immer ausgeschickt habe. Es war übrigens niemals meine Absicht, einen "prägenden" Regisseur aufzubauen.

Das können Sie mir zum Vorwurf machen. Aber ich habe es so wollen. Sie dürfen nicht vergessen: Allein dadurch, dass ich hier saß, habe ich auch eine gesellschaftspolitische Position verteidigt.

STANDARD: Hat sich dieser Hinweis auf Ihr Dasein als Frau nicht etwas überholt?

Werner: Das ist vielleicht Kritikern "blunzen". Die wollen bloß sehen, was auf der Bühne los ist. Nein, tut mir Leid, das ist zu oberflächlich gesehen.

STANDARD: Sie haben immer hingewiesen auf Ihre eingekeilte Situation, zwischen Claus Peymann an der Burg und Otto Schenk am Josefstadt-Theater.

Werner: Aber das soll erst einmal jemand durchstehen, zwischen Schenk und Peymann überhaupt zu überleben! Und wir haben sogar sehr gut überlebt, sind es durchgestanden. Vielleicht sind drei so riesige Theater in Wien auch gar nicht notwendig. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Wiener Volkstheater gehörte extrem verkleinert - das wird nicht gehen, weil es dann noch immer eine Halle ist und kein Sprechtheater. Ich saß unlängst im Raimundtheater und dachte: Gott, ist das klein!

Es ging nie um das Geld. Beim anderen bleibe ich: Die Jungen haben wir verschiedentlich zu spät aufgespürt. Ich könnte Ihnen aus dem Stand fünf Namen sagen, fünf - zuletzt etwa Nicolas Stemann, mit dem wir das erste Gespräch geführt haben und der jetzt Hausregisseur an der Burg ist. So geschwind habe ich nicht schauen können, war er weg. Wir haben doch um Elmar Goerden gekämpft, um Martin Kusej - als die noch zu haben waren. Manche haben wir gehabt, wie Antje Lenkeit, Thirza Bruncken und so weiter.

STANDARD: Warum sind daraus so selten kontinuierliche Arbeitszusammenhänge entstanden? Oft dachte man: Die erste Bruchlandung - und schon werden sie entsorgt.

Werner: Wir haben niemanden entsorgt. Die waren doch sofort immer beleidigt! Die machten dann lieber Oper.

Ich habe freilich immer so entschieden, als ob Wien die wichtigste Stadt der Welt wäre. Im Kopf wusste ich es besser, das lief aber durch den Bauch. Darum war mir wichtig, was hier passiert. Es kommt noch etwas hinzu: Das Anstückeln von Intendantinnenjahren führt natürlich nicht dazu, dass man sich von Leuten leichten Herzens trennt. Irgendwann fehlt plötzlich das frische Blut. Wenn ich heute jünger wäre, aber meine Erfahrungen besäße - ich riefe sofort: Gebt mir ein Fünfhundert-Plätze-Haus, und ich mache das Welttheater auf! Das geht aber nicht. Vielleicht ist es gut so. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.7.2005)