Der russische Automarkt boomt. Lange haben es die Einkommenssituation und die protektionistischen Maßnahmen der einheimischen Autohersteller hintertrieben, zur westlichen Konkurrenz zu greifen. Die Schwemme an Petrodollars und die gestiegenen Löhne haben das Bild inzwischen verändert. Der Wendepunkt kam im ersten Quartal dieses Jahres. Erstmals wurden in Russland mehr ausländische als einheimische Autos verkauft.

Siebtgrößter Fahrzeugmarkt

In den letzten beiden Jahren stieg der Verkaufsumsatz um 67 Prozent, bis 2010 soll er sich verdoppeln – durch Erhöhung sowohl der Auslieferungszahlen als auch der Durchschnittspreise. Mit über 22 Millionen registrierte Autos ist Russland der siebtgrößte Fahrzeugmarkt der Welt. Dabei weit entfernt von einer Sättigung, denn während auf tausend Westeuropäer etwa 500 Autos kommen, sind es bei tausend Russen gerade mal gute 150. So kommt es auch, dass Russlands Industrie in Summe nur der dreizehntgrößte Automobilhersteller der Welt ist.

Haben die russischen Autoproduzenten den Import durch hohe Zölle gebremst, so haben sie gleichzeitig die eigene Produktionsqualität nur beschränkt erhöht – die niedrigen Energie- und Treibstoffpreise etwa, vor allem aber die Absenz ausländischer Konkurrenz boten keine Anreize.

Alteingesessene Hersteller verlieren Marktanteile

Dass Aufnahmekapazität und Absatzperspektiven nicht nur für den Import sondern auch für die Produktion im Land bestens sind, belegt die jüngste Agilität ausländischer Automobilkonzerne. Noch vor vier Jahren liefen 99 Prozent der Autos in Russland von Bändern aus der Sowjetzeit, davon 65 Prozent vom Marktführer und Lada-Hersteller AvtoVAZ. Im Vorjahr immerhin kamen schon über zehn Prozent der Produktion auf Modelle, die in Lizenzunternehmen oder in Fabriken mit ausländischer Kapitalbeteiligung gefertigt wurden.

Die alteingesessenen russischen Hersteller, die nur noch unterdurchschnittlich wachsen, verlieren Marktanteile. Zum ausländischen Pilotprojekt wurde die 2002 gegründete Fabrik von Ford bei Petersburg, die drei Prozent der russischen Autoproduktion erzielt und nächstes Jahr auf 60.000 produzierte Stücke verdoppeln will.

Fünf Prozent der russischen Produktion hält General Motors, das in einem Joint Venture mit AvtoVAZ den Chevrolet Viva erzeugt. Groß zog im April Renault nach, das 250 Mio. Dollar in ein Jointventure mit der Stadt Moskau pumpte und jährlich 60.000 Renault Logans produzieren will. Hyundai lässt in Russland montieren, auch BMW – in Kaliningrad nämlich, das mit seinem Status der Sonderwirtschaftszone keine Importzölle einhebt. Dem Beispiel von BMW folgte auch General Motors (Hummer 2, Chevrolet Blazer).

Ausländer kommen

Die ausländischen Konzerne beginnen jedenfalls Russland zu entdecken: Toyota produziert ab Ende 2007 in Petersburg, an eine Werkeröffnung denken auch VW und Mercedes. Die Regierung unterstützt die Tendenz mit niedrigeren Zollsätzen für importierte Autoteile.

Und auch für die Zuliefererindustrie tun sich Perspektiven auf. Eben nimmt Johsons Controls seine erste Montagelinie in Russland in Betrieb und stattet seinen Kunden Focus mit kompletten Sitzsystemen aus. Und wie Siegfried Wolf dem STANDARD sagte, habe die russische Präsidialkanzlei Magna International gebeten, beim Aufbau eines Zuliefernetzes für die heimische und internationale Autoindustrie in Russland mitzuhelfen. (Eduard Steiner aus Moskau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.6.2005)