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Von Rechts wegen nur "gesichert", um nicht abtauchen zu können, aber doch eingesperrt wie im echten Häfen: Schubhäftling in Österreich.

Foto: APA/Techt
In der Zelle hinter der halb geöffneten Türe sitzt ein Mann wie angebunden auf dem Sessel. Sein Körper ist starr, die Hände liegen untätig auf den Oberschenkeln, aber der Blick ist wach. Abschätzend, ablehnend, ängstlich: "Hungerstreik", sagt der Sicherheitswachebeamte.

Vor einer halben Stunde, so erzählt der Polizist, sei der Ägypter – "zumindest gibt er an, dass er aus Ägypten kommt" – vom Amtsarzt untersucht worden. Sei für heute als hafttauglich befunden worden. So wie die zwei jungen Palästinenser drei Zellen weiter auch, die seit Tagen die Nahrung verweigern: Drei Hungerstreiks bei vier Schubhäftlingen Belag – im Polizeianhaltezentrum Wiener Neustadt kein Ausnahmetag.

Zwei Wochen hungern

Derzeit dauere es bis zu zwei Wochen, bevor der Doktor aus medizinischen Gründen eine Entlassung anordnet, je nach Konstitution des Schubhäftlings, erläutert der Leiter des Wiener Neustädter Polizeianhaltezentrums, Manfred Friesz, vor der Grünen- Justizsprecherin Terezija Stoisits.

Deren Schubhaftlokalaugenschein ermöglichte es dem STANDARD, sich ein Bild zu machen. Eine unabhängige Bewilligung war im Ministerium nicht zu erwirken gewesen – zu gefährlich, hieß es.

Damit kann nicht der Wiener Neustädter Polizeizellentrakt gemeint gewesen sein, wo einer der Palästinenser seinen Sessel halb auf den Gang geschoben hat. Da sitzt er und betrachtet scheinbar desinteressiert den Besuch. Aus der Zelle dringt Fernsehgeflimmer ohne Ton.

Sonst tut sich absolut nichts in dem weiß getünchten Zellentrakt mit den blitzblau lackierten Türen, der für zehn Inhaftierte – Schubhäftlinge und Verwaltungsstraftäter – ausgelegt ist. Unbeleuchtet die Duschen, unbenutzt der Aufenthaltsraum, geschlossen das Gesperre hinaus auf den Spazierhof. Abgeschiedenheit und Langeweile – gut geeignet, um sich zum Beispiel aufs Hungern zu konzentrieren.

Hungerstreiks in der Schubhaft seien ein "gesellschaftspolitisches Problem", meint Friesz. In Österreich treten sie gehäuft im Osten auf. Die geplante neue Regelung im Fremdenpolizeigesetz werde ihre Zahl verringern – auch wenn sie allein auf Androhung von Konsequenzen bis hin zur Zwangsernährung setzt.

Schubhaft dürfe keinen Strafcharakter haben, hatte im September 2004 der Menschenrechtsbeirat von Neuem betont. Doch der Wiener Neustädter Polizeidirektor Anton Aichinger zeichnet ein Negativbild der Klientel. Schubhäftlinge seien "eine Sparte, die ein Risiko darstellt", sagt er.

Nur keine Abschiebung

Eine, die mit allen Mitteln versuche, der Abschiebung zu entgehen. Wie jener "Schwarzafrikaner", der nach einer Suchtgiftverurteilung und zwei negativen Asylbescheiden abgeschoben werden sollte. "Das Flugticket war schon gebucht, da stellt der Mann einen weiteren Asylantrag", erzählt Aichinger. So etwas geschah laut Justizministerium im zweiten Halbjahr 2004 rund 150-mal in der Haft.

Von den geplanten gesetzlichen Verschärfungen – etwa, dass ein solcher Antrag mit Schubhaftverbleib einhergehen soll – verspricht er sich "gewisse Verbesserungen". Doch behördliche Härte könne gefährlich werden, gibt hier Michael Genner von der Flüchtlingshilfsgrupe Asyl in Not zu bedenken. Wie bei Herrn A. aus Tschetschenien, der 2004 nach einer Asylablehnung in die Slowakei zurückgeschickt werden sollte.

"Adäquates Mittel"

Als A., nach dem in Tschetschenien der russische Geheimdienst fahndete, in Schubhaft kam, begann er zu hungern; nach einer Woche galt er als haftunfähig: Er wurde entlassen – und bekam 2005 nach einem neuerlichen Antrag Asyl. Hätte A. das Essen nicht verweigert, er wäre vielleicht nach Russland zurückgewiesen worden, meint Genner. Für ihn ist gesetzliche Härte der falsche Weg. Auch in Österreich sei "Hungerstreik ein adäquates Mittel, um sich vor einer Abschiebung in den Tod zu wehren." (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2005)