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derStandard.at: Sie haben bereits im Vorfeld der Wahlen angezweifelt, dass Rafsandschani wieder gewählt wird. Hätten Sie jedoch erwartet, dass sich der erzkonservative Teheraner Bürgermeister Ahmadi-Nejad durchsetzt?

Guldimann: Ich hatte meine Zweifel, dass Rafsandschani, als nicht beliebte Figur des Regimes, ins seinem Alter und bei seiner Anfälligkeit für Korruptionsvorwürfe wiedergewählt würde. Dass nun im Endeffekt Ahmadi-Nejad zum Präsidenten gewählt wurde, überrascht mich jedoch tatsächlich. In der politischen Diskussionen im Iran war in den letzen acht Jahren die Reformdebatte viel zu stark im Vordergrund. Die soziale Situation der Bevölkerung hat sich jedoch verschlechtert, obwohl das Land über große Einnahmen am Ölsektor verfügt, die allerdings gebunkert wurden. Daneben profitierte eine kleine priveligierte Schicht davon. In erster Linie ist diese Wahl eine Protestwahl. Außerdem hat Khamenei, der ja die eigentliche Nummer Eins im Staat ist, Ahmadi-Nejad unterstüzt.

derStandard.at: Sie schätzten das iranische System während Ihrer Zeit als Botschafter als stabil ein und sahen eine langsame Veränderung hin zu einem offenen, modernen Iran. Wird diese Entwicklung nun wieder umgekehrt?

Guldimann: Die Frage ist, ob diese Wahl eine Rückkehr zu den Traditionen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die religiöse Ideologie der Revolution tatsächlich über ihre Protestfunktion während der Wahl hinaus tragfähig bleibt. Vielleicht denken sich die Menschen ja: "Der neue Präsident soll liefern, wenn er das nicht tut, sprechen wir ihm das Vertrauen wieder ab." Natürlich hat man Ahmadi-Nejad, der ein Vertreter der Revolutionsgeneration ist, unter anderem aus einer gewissen Nostalgie heraus gewählt. Ahmadi-Nejad bezeichnet sich selbst als "Prinzipientreuer", als "Osula", ein persisches Wort, das in westlichen Übersetzung oft als "Fundamentalist" erscheint.

Es entwickelt sich aktuell eine neue Diskussion, was islamische Politik bedeutet. Ahmadi-Nejad selbst spricht davon, einen starken muslimischen Staat zu wollen. Mir persönlich wäre natürlich ein fortschrittlicher, prowestlicher Präsident lieber gewesen, aber ich bezweifele auch, dass Rafsandschani dieser Präsident gewesen wäre.

derStandard.at: Ist Iran unter neuer Führung eine stärkere nukleare Bedrohung?

Guldimann: Das westliche Empfinden des Bedrohtseins hat sicher zugenommen. Eine Konfrontation in der Atomfrage ist nicht auszuschließen, das war aber auch vor der Wahl so. Ende Juli werden die internationalen Verhandlungen ja weitergehen, da erwarten die Iraner Vorschläge von europäischer Seite. Die europäische Position im Moment ist: endgültiger Stopp der iranischer Urananreicherung. Die USA will die Frage an den Sicherheitsrat weitergeben.

Allein schon die Überweisung an den Sicherheitsrat würde Iran als eine Eskalation sehen, denn Teheran insistiert auf den ausschließlich friedlichen Charakter seines Atomprogramms, das keine Bedrohung der internationalen Sicherheit darstellt. Und der Atomwaffensperrvertrag gibt Iran im Artikel IV das Recht zur friedlichen Nutzung und damit zur Urananreicherung. Ich sehe die Gefahr darin, dass der internationale Druck gegen Iran, die Forderung nach Aufgabe der Urananreicherung, den Konflikt eskalieren lässt und damit das Gegenteil des Gewünschten bewirkt wird: den Rückzug des Landes aus internationalen Kontrollen.

derStandard.at: Ahmadi-Nejad hat sich in seinem Vorwahlkampf als Vertreter der einfachen Leute und als Sozialreformer gegeben. Er werde dem Volk "seinen Anteil am Ölgeld" geben, versprach er vollmundig. Kann man ihm das abnehmen?

Guldimann: Die staatlichen Reserven aus den Einnahmen am Ölmarkt betragen etwa 40.000 Milliarden Dollar. Ahmadi-Nejad könnte daraus viel Geld für soziale Zwecke einsetzen.

derStandard.at: Die internationalen Energiemärkte reagieren nervös. Wie könnte sich eine mögliche Änderung der iranischen Ölpolitik international auswirken?

Guldimann: Das Streben nach Unabhängigkeit der iranischen Revolution ist widererstarkt. Diese Haltung ist antiwestlich und könnte sich dahingehend auf die Ölwirtschaft auswirken, dass man die Absatzmärkte in Asien als tragfähige Alternative zu den europäischen Beziehungen sieht.