Landwirtschaft rückwärtsgerichtet - Forschung und Entwicklung zukunftsorientiert: Diese scheinbar so bestechende Formel Tony Blairs für ein modernes Europa hat sich auch Alfred Gusenbauer zu Eigen gemacht. Der SPÖ-Chef wettert gegen die Agrarindustrie, angeblich der Hauptprofiteur der EU-Subventionen. Dass die Agrarindustrie mit der von Blair befürworteten Liberalisierung und ohne Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft noch viel, viel beherrschender wäre, sagt er nicht. Der Preisdruck auf Klein- und Mittelbauern ist ohnedies schon jetzt so groß, dass immer mehr aufgeben. Mehr als 40 Prozent des EU-Budgets für nur fünf Prozent der Bevölkerung: ein einleuchtendes Argument für eine Wende, aber so polemisch und populistisch wie falsch. Denn erstens umfassen die 40 Prozent bei Weitem nicht nur Agrarsubventionen, sondern die Förderung des ländlichen Raumes im weitesten Sinn; zweitens profitieren davon weit mehr Menschen als die Bauern selbst - im Grunde die gesamte Gesellschaft. Durch gesunde Lebensmittel, eine gepflegte Landschaft, einen lebenswerten ländlichen Raum, der nicht nur Touristen anzieht, sondern auch Arbeitsmöglichkeiten bietet und damit dem Sog städtischer Ballungszentren entgegenwirkt. Rückwärts gewandt? Innovationshemmend? Einige Beispiele: Biobauern fördern das Bewusstsein für gesunde Ernährung und senken damit die Kosten der medizinischen Versorgung; Solarenergiegewinnung, Biomasse- und moderne Holzheizungen gibt es vorwiegend auf dem Land - sie verringern die Abhängigkeit vom Öl und mindern den Treibhauseffekt. Das alles soll freilich nicht daran hindern, etwas gegen die Auswüchse der Agrarindustrie zu tun. Indem man zum Beispiel das Kilo Schnitzelfleisch um 2,99 oder Paradeiser, die tausende Kilometer entfernt in Plastiktunneln unter massivem Einsatz von Herbi- und Pestiziden gezogen wurden, nicht kauft. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2005)