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Wien - Es geht ein Zug nach Nirgendwo? Na ja, von Zügen ist weniger zu sehen im jüngsten Film des bosnischen Regisseurs Emir Kusturica, auch wenn alles an diesem szenischen Hexenkessel aus dem langsam in den Krieg hineinschlitternden Bosnien 1992 wie manisch mit den Geleisen einer Bahnstrecke verbunden scheint.

Aber wenn nicht gerade irgendwelche Bären aus dem Unterholz preschen, oder Esel den Weg verstellen, dann bewegt man sich wahrhaft mit einem Höllen-Tempo voran (und in Richtung Krieg) - mit Draisinen oder auch mit umfunktionierten Gangster-Limousinen, und dazu wird parallel gevöllert und musiziert, dass einem schier Ohren und Augen übergehen.

Es geht ein Zug nach Irgendwo. Dem (scheinbar) Festgefügten der Geleise und der sie verbindenden Schwellen (von denen man seit Buster Keaton und den Marx-Brothers weiß, dass sie sich zur Not ganz gut auch in Lokomotiven verheizen lassen) - dieser (vermeintlichen) Richtungsvorgabe (in Richtung mehr Tourismus für die Region) widersetzen sich der Starrsinn und der Irrsinn der Menschen. Wie schon zuletzt in Underground scheint Kusturicas Inszenierung zuerst einmal vor allem darauf bedacht, in den einzelnen Einstellungen möglichst viel Störung und Chaos zu erzeugen.

Und darunter bzw. über die tobenden Verhältnisse hinweg verselbstständigen sich quasi die kleinen Irrläufer der wahren Gefühle: Ein serbischer Bahningenieur (Slavko Stimac) verliebt sich in eine muslimische Geisel (Natasa Solak), die eigentlich gegen seinen kriegsgefangenen Sohn eingetauscht werden soll.

Kalaschnikow!

Auch wenn permanent irgendwelche Blasinstrumente und/oder Maschinengewehre "Kalaschnikow!" brüllen - das Lächeln dieser beiden Verliebten schafft denkwürdige Ruhemomente des Vertrauens. Und wer weiß, so denkt man als Betrachter mitunter, vielleicht fährt doch irgendwann ein friedlicher Zug in den Bahnhof ein, und es wäre ein Neubeginn, so wie einst der berühmte "erste" Film der Gebrüder Lumiére für das Kino.

Emir Kusturica, der sich diesem frühen Kino verpflichtet fühlt wie sonst vielleicht nur den großen chaotischen US-Komikern der 30er- und 40er-Jahre - man hat ihm oft unterstellt, das Turbulente und Pikareske missrate in seinen Filmen oft zum Selbstzweck. Tatsächlich fühlt man sich auch von Das Leben ist ein Wunder (der Titel ist weniger furios) mitunter wie erschlagen. Anders aber als zuletzt in Schwarze Katze, weisse Katze, wo Kusturica ein Laufbildragout definitiv überwürzte, verliert er hier die Geschichte und die Geschichten nicht aus dem Blick.

Derzeit arbeitet der Regisseur und Autor übrigens an einem Dokumentarfilm über den argentinischen Wunderkicker Diego Maradona. Das Resultat könnte ein schönes weiteres Exempel werden für Kusturicas Kunst, Momente höchster, oft irrlichternder Selbstvergessenheit zu vergegenwärtigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.6.2005)