An die siebzig oder älter sind heute jene Österreicher, die sich an ihr eigenes Schicksal als Flüchtlinge im Gefolge des Zweiten Weltkriegs erinnern. Und die jüngsten unter den gebürtigen Ungarn, die 1956 nach ihrer Flucht in Österreich blieben, sind auch schon über fünfzig. Die jüngeren haben - zum Glück für sie - diese teilweise traumatischen Erfahrungen nicht machen müssen. Sie kennen, wenn überhaupt, nur die andere Seite. Und reagieren oft extrem, wenn sie über Straftaten von Asylanten in den Zeitungen lesen. Dass die Mehrheit nicht in die Kriminalität abdriftet, ist keine "Mann beißt Hund"- Meldung. Sie bleibt Statistik. Der üblicherweise verkraftbare Tagesbedarf an Schreckensbildern wird ohnehin, wie heute, vom Irak abgedeckt. In den Flüchtlingslagern in Afrika dominiert der schleichende Tod, in den Palästinenserlagern graben Enttäuschung und Hass das Innere der Menschen um. Wir stehen daneben und beruhigen unser Gewissen mit Spenden oder mit Bewunderung für die Ärzte, Helfer, Konfliktmanager aus den Menschenrechtsgruppen. Oder bemühen uns, in den Medien für Solidarität und Lösungen zu werben. Auch dann, wenn nicht Weltflüchtlingstag ist. Wir wissen nicht, wie dramatisch die Situation wäre, wenn es all die Initiativen nicht gäbe. Und die "Regelung" allein der Polizei oder gar dem Militär überlassen bliebe. Die sind schon an jenen Stellen überfordert, wo sich alles konzentriert. Zum Beispiel in Nordafrika, in der spanischen Enklave Ceuta. Inder beispielsweise zahlen 10.000 Euro und werden von Schleppern über Dubai nach Addis Abeba gebracht. Von dort müssen sie selbst weiterkommen, ausgerüstet allerdings mit falschen Pässen, Erspartem und praktischem Wissen: "Du musst nach Ceuta, dort ist Europa." Sie kommen über Zäune oder über das Wasser, weil das Polizeiradar nicht alle erfasst. Trotz der Thermokameras, die im Grunde jeden Fisch erkennen. Irgendwie schaffen sie den Sprung nach Spanien. Zehn Prozent derer, die diese Absicht haben. Trotzdem so viele, dass Spanien mit einer Million Illegalen lebt. Bekannter als Ceuta ist die italienische Insel Lampedusa, wo der Flüchtlingsstrom ähnlich drängend ist. Oder ganz woanders: Über Brest in Weißrussland strömen Tschetschenen nach Polen. 80 Prozent von ihnen werden wieder zurückgeschickt. Zwanzig Prozent bleiben. Man sieht an ihnen nur die Folgen von Schusswunden oder anderer Gewalt. Die seelischen Schäden bleiben verdeckt. International weniger bekannt sind das östliche Niederösterreich und das Nordburgenland, wo das Bundesheer Dienst tut. Auch hier kommen die Flüchtlinge eingeschlichtet unter Lkw-Böden, verpackt in Koffern oder in Teppichen. Europa wehrt sich (Stichwort Schengen) und wirkt als Festung, ist von Findigen aber trotzdem zu knacken. Lösungen? Die nahe liegende ist die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat. Obwohl die Zahl der Menschen "in fluchtähnlichen Situationen" auf bald 20 Millionen gestiegen ist, sind seit Ende 2001 nach UNO-Auskünften fünf Millionen wieder zurück. Allein 3,5 Mio. nach Afghanistan. In den Neunzigerjahren hat die Beruhigung auf dem Balkan ebenfalls zu einer Rückkehrwelle geführt. Österreich hat derzeit 57.000 Flüchtlinge und Asylwerber. Viel. Aber mit nationalen Kraftanstrengungen zu bewältigen. Es gibt viele Aspekte, vor allem auch jene der Kritik an den Asylgesetzen und an der Asylpraxis. Was sich Österreich viel initiativer leisten sollte, sind Bildungsinvestitionen. Caritas-Präsident Franz Küberl nennt einen der vielen Missstände: "Selbst hoch qualifizierte Flüchtlinge finden nur Hilfsarbeiterjobs." Auch sie, nicht nur weniger gut Gebildete, laufen Gefahr, Sozialfälle auf Lebenszeit zu werden. Wir brauchen (warum nicht auch im Gesundheitswesen?) neue Jobkonzepte. Die Verantwortlichen sollten handeln. Aber das ist ohnehin schon eine alte Schallplatte. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2005)