Tony Blair hat ein zweites "lease of life", einen zweiten Garantievertrag für sein politisches Leben, erhalten. Statt in ein, zwei Jahren vom ewigen Nachfolgekandidaten Gordon Brown abgelöst zu werden, kann er nun ein neues Projekt verwirklichen: die Umdefinition der EU im Sinne einer losen Wirtschaftsgemeinschaft. Oder er kann es zumindest versuchen. Blair hat in vielem grundsätzlich Recht. Die EU gibt 40 Prozent ihres Budgets für die Subventionierung des Lebens ihrer Bauern aus (Einkommen österreichischer Bauern bestehen zu etwa 60 Prozent aus öffentlichen Mitteln), verwendet aber nur einen Bruchteil für Forschung und Entwicklung.

Aber wenn man daran echt und rasch etwas ändern will, muss man nicht nur die Bauern in den alten EU-Ländern, sondern auch die viel zahlreicheren in den neuen Mitgliedstaaten zu einer brutalen Rosskur verurteilen. Die Agrarreform unter dem ausgeschiedenen EU-Kommissar Franz Fischler zielte darauf ab, nicht so sehr die Produktion zu subventionieren, nicht einmal die Landwirtschaft im engeren Sinn, sondern den "ländlichen Raum" insgesamt, also etwa die Gründung von Gewerbebetrieben oder von Home-Teleworking auf dem Bauernhof, zu fördern. Der Sinn war, ländliche Gebiete nicht veröden zu lassen.

Das ist nach wie vor richtig und wird in den neuen Beitrittsländern noch wichtiger sein. Wenn Blair meint, Afrika, sein neues Interessengebiet, werde sich nie erholen, wenn es seine landwirtschaftlichen Produkte nicht frei nach Europa exportieren dürfe, so klingt das plausibel, hat aber zur Voraussetzung, dass europäische Bauern massenhaft aufhören (müssen). Es wird ohnehin in diese Richtung gehen, oder es geht schon – die EU hat freiwillig beschlossen, ihre Zuckerproduktion praktisch aufzulassen. Entwicklungsländer werden nachrücken. Der britische Außenminister Jack Straw stellte dem "vergangenheitsgefangenen" ein "zukunftstaugliches" Europa gegenüber. Tatsächlich ist es zukunftstauglicher, in Forschung und Bildung zu investieren als in Landwirtschaft. Allerdings zahlen die technologieorientierten USA ebenfalls Unsummen an ihre (Groß-)Farmer.

In Wahrheit geht es Blair um geostrategische Ziele. Für ihn – wie für praktisch alle britischen Regierungen der letzten Jahrzehnte – ist die Anbindung an die USA die Maxime der Politik. Blair teilt die Vision von George Bush, die Ausbreitung der Demokratie über die Welt müsse notfalls mit Gewalt erfolgen.

Das mag manchmal sogar notwendig sein. Aber wenn es mit Lüge und mit vollkommen ungenügender Vorbereitung geschieht, wie im Irak, dann geht es nicht gut – wonach es derzeit aussieht. Blair will keine politisch integrierte EU, die den USA in solchen Fällen offenen Widerstand leistet. Er will eine EU mit einem Mitgliedsland Türkei, das durch sein Gewicht geostrategische Entscheidungen unterstützt und mit herbeiführt, die die jetzige EU nicht treffen will: etwa bewaffnete Interventionen im Kaukasus oder in Zentralasien.

Der britische Premier wird diese Vision nicht durchsetzen können, schon gar nicht im halben Jahr seiner Präsidentschaft und auch nicht angesichts der Tatsache, dass seine eigene Bevölkerung das irakische Abenteuer ganz überwiegend ablehnt. Ganz zu schweigen von den anderen Europäern. Im Endeffekt wird sich Blair damit noch mehr isolieren. Aber er wird wertvolle Zeit vertan haben, die man für eine wirkliche Renovierung des europäischen Modells hätte nützen können. Und er wird Großbritannien noch mehr vom Herzen Europas weggeführt haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2005)