Zunächst gar nicht so leicht, aber in jedem Fall sehr spaßig - der Umgang mit dem "virtuellen Dirigenten" und den Wiener Philharmonikern

Foto: Hendrich
"Das ist ja entsetzlich! Warum sagt denn keiner was?" Der Bratschist der Wiener Philharmoniker ist aufgesprungen und echauffiert sich lauthals. Ein vernichtendes Diktum in Richtung des Dirigenten: "Haben Sie das Stück überhaupt schon einmal gehört?" Wer immer schon gedacht hat, ein Orchester zu dirigieren sei ein lockerer Job, ein bisschen rhythmisch mit dem Taktstock fuchteln und nichts weiter Aufregendes, der kann sich im Haus der Musik im Eigenversuch eines Besseren belehren lassen.

In der dritten Etage, die den "Großen Meistern" gewidmet ist, findet sich ein Raum mit Namen "Der virtuelle Dirigent", und die überwiegende Zahl jener, die hier ihr Talent am Pult auf die Probe stellen, werden von den Philharmonikern ausgeschimpft: "Können Sie denn nicht den Takt halten?" oder "So geht's aber nicht!" sind dabei noch die milderen unter den Zurechtweisungen, die in dem 20 Gigabyte starken eingespeicherten Audio- und Video-Material vorgesehen sind.

Vier Stücke stehen zur Auswahl: "Annenpolka" und "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß Sohn, der "Radetzkymarsch" von Johann Strauß Vater und Mozarts "Eine kleine Nachtmusik". Freilich wird nicht jedes Stück vorzeitig abgebrochen und der Amateurdirigent mit Schmähungen überschüttet:

Schafft man es nämlich, Takt und Tempo tapfer und gleichmäßig durchzuhalten, dann ertönt von der Bildschirmwand Applaus und die Musiker erheben sich. Meist gibt es auch noch echten Applaus von den Umstehenden, denn der virtuelle Dirigent ist die Hauptattraktion des Hauses der Musik, und der Taktstock wandert beständig von einer Besucherhand in die andere.

Weit ausholen

Wobei Takt und Tempo keineswegs die einzigen Elemente sind, die der virtuelle Dirigent steuern kann: Je weiter man beim Taktschlagen ausholt, desto lauter spielt das Orchester, und wenn man mit dem Stab auf bestimmte Orchestergruppen zeigt, dann erklingen diese ebenfalls lauter als der Rest. Möglich ist das dank eines ausgeklügelten Zusammenspiels zweier Rechner, neben dem Harry Potter mit seinem Zauberstab blass aussieht.

Wobei der Taktstock selbst bloß Infrarotsignale aussendet - diese werden von einem Computer mittels Gestenerkennungsalgorithmus ausgewertet und vom anderen Computer in Bild und Ton umgesetzt. Ein Timestretch-Algorithmus verhindert, dass sich bei unterschiedlichem Dirigiertempo die Tonhöhe ändert. Vier Audio-Kanäle werden parallel verarbeitet, so funktioniert das Hervorheben von Orchestergruppen.

Für dieses aufwändigste Videospiel der Welt braucht es natürlich wie für alles ein wenig Übung - nicht den Kopf hängen lassen, wenn man beim ersten Mal noch coram publico zurechtgewiesen wird! (stein/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 5. 2005)