Foto: Christian Fischer

König Heinrich VIII. mag sechs Frauen durch Heirat unglücklich gemacht, die anglikanische Kirche begründet und als armer Irrer geendet haben - doch er hat auch Gutes getan. So darf man ihm zugute halten, einst einen gegrillten Rinderpopo in den Adelsstand erhoben zu haben. Als ein gar mächtiges Stück Rind, bestehend aus dem doppelten Rostbraten inklusive beider Schlegel aufgetragen wurde, erfasste den König der Briten solche Freude, dass er ausrief: "I dub thee Sir Loin, Baron of Beef!"

Solche Wertschätzung würden im Ganzen gegarte Stücke auch heute noch verdienen. Ein kapitaler Braten, ein Tier vom Spieß oder Rost, auch ein großer Wildfisch blau, im Salz oder aus dem Backrohr, gerät nicht nur geschmacklich ungemein spannender als das übliche Geschnitzel, er sorgt auch bei Tisch für eine ganz eigene Form bukolischer Freude und Ausgelassenheit. Ein Stück Fleisch, vor hungriger Runde zersäbelt, das hat archaische Kraft und sorgt fast automatisch für gute Laune.

Nicht umsonst scharen sich die ebenso vielköpfigen wie streitlustigen Familien der französischen Provinz bei ihren rituellen Treffen stets um eine mächtige "Pièce de Résistance", einen Braten, der etwaigem Unmut, etwa über die geschwätzige Egomanie des Großonkels, entsprechend die Stirn bietet. Und danach sind alle so geschafft, dass an Disput nicht mehr zu denken ist.

Einer, der sich dieser kaum noch gepflegten Form der Tafelfreude jetzt angenommen hat, ist Vratislav Krivák vom schönen Gasthaus Nordpol. Als begnadeter Koch und Bewahrer der böhmischen Küchentradition hat sich Krivák dafür nicht irgendeinen Schweinsbraten auserkoren, sondern ein Kronjuwel altböhmischer Kochkunst: die legendäre "Svícková na smetane", den gespickten und "als ein Ganzer" in Wurzelrahmsauce rosa gebratenen Lungenbraten. "Eine echte Svícková muss man im Ganzen braten", insistiert Vratislav, "nur dann kriegt die Sauce den besonderen Schmelz." Und den hat sie in der Tat. In großzügigen Schüsseln wird sie neben dem Fleisch aufgetragen, diese passierte Creme von vielerlei Wurzeln, die mit Majoran, Lorbeer, Thymian, Piment und bestem Essig gewürzt ist und mit ordentlich Rahm derart mollig gemacht wird, wie Saucen eigentlich nur an längst vergessenen Festtagen sein dürfen. Dazu gibt es locker-flaumige Semmel- und Erdäpfelknödel, herbe Preiselbeeren und, für die Buße- stunden danach, den wirklich außergewöhnlich guten (und starken) Wacholder, der irgendwo südlich von Iglau gebrannt wird - was sollte man sich mehr wünschen für ein ordentliches, mitteleuropäisches Gelage?

Genüsse vom ganzen Tier bieten natürlich auch die dalmatinischen Fischrestaurants der Stadt, die mehrmals wöchentlich mit Wildfang von den Felsküsten der Heimat beliefert werden. Zwar werden kapitale Zahnbrassen, Drachenköpfe oder Wolfsbarsche auch in der südlichen Adria nicht gerade mehr, gegen Vorbestellung sollten die bewährten Adressen (siehe rechts) aber stets in der Lage sein, einen Fisch zu besorgen, der vier bis sechs Esser glücklich macht.

Und wer nicht zur bedauernswerten Spezies jener Landsleute zählt, die schon beim Anblick einer Gräte am liebsten den Notarzt rufen würden, der weiß ohnehin, dass der Verzehr so eines großen, einfach im Ganzen gegarten Fischs eine ganz einzigartige Form der inneren Zufriedenheit nach sich zieht. Ganz billig ist das Ganze natürlich nicht. Das gilt auch für jene großen Stücke, die Christian Petz im Palais Coburg in sein "Menu Surprise" einbaut. So schmort Petz auch mal ein halbes Kitz zu schnörkelloser Perfektion, seine gebratene Kalbsstelze darf, wie auch die mit Gansleber gefüllte Bresse-Henne, längst als köstlicher Maßstab für bei Tisch tranchierte Stücke gelten. ( Severin Corti , Der Standard/rondo/29/04/2005)