"Eine geradezu heutige Parabel über unsere Ellbogengesellschaft" will das Ensembletheater bieten, wenn es in Fräulein Julie eine lebensdurstige Grafentochter in die Fänge ihrer böswilligen Dienerschaft stolpern lässt. Eine große Aufgabe, zumal das Stück, 1888 von August Strindberg im Stil des naturalistischen Dramas erdacht, nur einen gestrigen Grundstock dafür liefern kann: Aristokratisches Begehr auf Kollisionskurs mit dem klassenverbessernden Streben der Untertanen - und eine etwas frauenfeindliche Perspektive darauf.

Auf der unterprivilegierten Seite hobelt Michael Schusser als Diener Jean an einer äußerst hölzernen Darstellung von neidgetränktem Aufstrebertum. An seiner Seite wird von Manuela Nedelko als Dienerin brachial das glaubensfanatische Damoklesschwert geschwungen. Damit bleibt es Sarah Kattih überlassen, als Fräulein Julie den frei gewählten Untertitel "Eine Komposition der Gefühle" zu erfüllen. Aufgekratzt bebt sie über die Bühne ihrem fatalen Schicksal entgegen und lässt dabei auch die emotionale Zerrissenheit spüren, die (damals) bei klassenübergreifendem Intimkontakt üblich gewesen sein muss.

Wenn die Inszenierung von Dieter Haspel etwas über unsere "Gesellschaft, die außer Profit keine Tabus mehr kennt" aussagen kann, dann das, dass neue Tabus gesucht werden müssen, wie zum Beispiel das der überholten Thematik. (pet/DER STANDARD, Printausgabe, 24.05.2005)