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Foto: APA/dpa/Armin Weigel
Grado - "Rückenleid als Frauensache". Von bestimmten Wirbelsäulenproblemen - speziell jenen der Halswirbelsäule (Zervikalsyndrom) - sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer. Im Schnitt dauert es 13 Jahre bis fachgerechte Hilfe gesucht wird. "Es ist ein Problem, das zu 85 Prozent diagnostisch nicht richtig eingeordnet wird. Röntgen, Computertomographie oder Magnetsresonanz sind falsch positiv oder man sieht nichts", erklärte am Montag bei den Österreichischen Ärztetagen in Grado (22. bis 28. Mai) der Wiener Experte Hans Tilscher. Bei dem Kongress, eine zentrale Fortbildungsveranstaltung der Österreichischen Ärztekammer, sind in diesem Jahr erstmals mehr als 1.000 ÄrztInnen als TeilnehmerInnen registriert.

Tilscher, Begründer einer eigenen Schule der manuellen Medizin und in jahrzehntelanger Erfahrung mit bisher rund 35.000 PatientInnen konfrontiert: "85 Prozent aller über 30-Jährigen in Österreich hatten schon Beschwerden des Bewegungsapparates. 40 Prozent haben derzeit 'Kreuzschmerzen'. Nur 15 Prozent sind auf eine spezifische (und durch technische Untersuchungen belegbare, Anm.) Ursache zurückzuführen. Das heißt, dass derzeit zwei Millionen ÖsterreicherInnen Wirbelsäulenbeschwerden haben, von denen 1,7 Millionen nicht wissen, woran sie leiden."

Mehr Beschwerden bei Frauen

Insgesamt sind zwei Drittel der Krankheitssymptome des Bewegungs- und Stützapparates Wirbelsäulenprobleme. Frauen sind 1,5 Mal häufiger von Schmerzzuständen betroffen. Bei den so häufigen Halswirbelsäulen-Erkrankungen (Zervikalsyndrom) sind die Frauen im Vergleich zu den Männern in einem Verhältnis von 2:1 überrepräsentiert. 44 Prozent der Pensionen wegen geminderterer Erwerbsfähigkeit gehen auf orthopädische Probleme zurück.

Psychische Ursachen

Der Fachmann für konservative Orthopädie sieht die Ursachen dafür vor allem in den gesellschaftlichen Veränderungen in moderner Zeit: "Die Frauen waren an und für sich seit 100.000 Jahren erfolgreich mit einem Leben 'aus dem Bauch heraus'. Heute muss die Frau Geld verdienen, hat zwei Kinder, eine nicht ganz einfache Schwiegermutter, veranstaltet Einladungen, organisiert den Urlaub und verwaltet meistens das Geld." Überbelastung, Verspannung, Senkung der Schmerzschwelle und Chronifizierung allfälliger Beschwerden seien an der Tagesordnung. Körper und Psyche wirken zusammen.

Mehr Wirbelsäulenverkrümmungen bei Mädchen

Hinzu kommt, dass Frauen auch von ihrer körperlichen Veranlagung her eher durch Erkrankungen des Bewegungsapparates gefährdet sind. Tilscher dazu: "Mädchen sind öfter von Hüftgelenksdysplasien betroffen. Sie weisen häufiger als Buben Skoliosen, also Wirbelsäulenverkrümmungen, auf."

Schließlich gibt es noch einen zusätzlichen Einfluss des Gelbkörperhormons während der Schwangerschaft. Es soll den Geburtskanal für die Entbindung weich machen - und führt zur Dehnung und Auflockerung des Gewebes. Das lässt auch die Sehnen und Bänder an Straffheit bzw. an ihrer Stützfunktion verlieren und schwächt die Haltung nur noch mehr.

Gerade Frauen arbeiten aber zusätzlich häufiger im Büro bzw. an Computerarbeitsplätzen. "Wir haben eine Befragung bei 558 am Computer Beschäftigten in einem Unternehmen durchgeführt. Es waren Männer und Frauen. Nur vier waren wirklich beschwerdefrei. Nach einer Stunde traten schon Augenprobleme auf, nach zwei bis drei Stunden Nackenbeschwerden. Sie wurden von den Frauen auf einer Skala zwischen 0 und 10 mit einer Stärke von 5,5 und von den Männern mit 4,5 angegeben, so Tilscher.

Es mangelt aber auch an den entsprechenden Gegenstrategien. Der Experte: "Auch wenn ein Computerarbeitsplatz noch so ergonomisch gestaltet ist, wird man Beschwerden bekommen. In der Befragung standen nur 25 Prozent regelmäßig auf, 17,6 Prozent machten Dehnungsübungen." Und das bei einer durchschnittlichen täglichen Belastung von sechs bis acht Stunden.

Kontinuität bei heilgymnastische Übungen

Am wichtigsten - so Tilscher - wären entsprechende heilgymnastische Übungen als rechtzeitige Vorbeugung: "Darunter ist ein lebenslanges heilgymnastisches Programm zu verstehen, nicht eine zehnmalige (physikalische, Anm.) 'Behandlung'. Gesundheit ist das Ergebnis von Kontinuität." Dafür sei tägliche Anstrengung notwendig.

Auch im Sport werde oft das Falsche getan. Der Orthopäde: "Frauen neigen an sich schon zur Hypermobilität. Deshalb sollte Sport bei Mädchen (den Bewegungsapparat, Anm.) eher stabilisieren und bei bulligeren Buben eher beweglicher machen."

Häufig - so der Experte - ziele der Vereinssport aber nach Erkennen einer "Begabung" für eine Disziplin eher darauf ab, hypermobile Mädchen auf noch mehr Gelenkigkeit und "stramme' Burschen zu noch mehr Kraftsport zu trainieren. (APA)