Standard: Wie hat Ihre Karriere begonnen? Im Film Mondovino sagen Sie, dass Sie zuhause nie Wein, sondern immer nur Milch getrunken haben.
Rosenthal: Das stimmt. Und dann kam eine normale Karriere. Jusstudium an der Columbia University, dann Arbeit in mehreren Kanzleien, dann eigene Kanzlei. Ich mochte Recht als Gedankengebäude, aber nicht als Praxis. Irgendwie stolperte ich dann ins Wein-Business.
Standard: Nämlich wie?
Rosenthal: Das war in den Sechzigern, als wir als Studenten auf einer Reise durch Europa im französischen Bayonne in einem einfachen, kleinen Lokal eine Literflasche eines Rotweins namens „Toreador“ vorgesetzt bekamen. Ich erinnere mich noch, wie dieser Billigwein Teil einer wunderbaren Erfahrung war. Das hat mich geködert. Dazu kam, dass ich vor fast 30 Jahren den Liquor Store von meinem Vater übernahm, der dort zuvor eine Apotheke betrieben hatte – ursprünglich dachte ich nur für ein paar Jahre, doch dann bin ich dabei geblieben. Nur dass ich statt Detailverkauf seit langem den Import betreibe und neue Winzer suche.
Standard: Hilft Ihnen Ihre juristische Ausbildung bei Ihrem jetzigen Job?
Rosenthal: Ohne Frage. Die Disziplin, die Präzision, die Bedeutung von Details, das hat mir eine gewisse gedankliche Strenge gegeben, die man braucht.
Standard: Kann das ein emotionales „Aufwachsen“ mit der Weinkultur ersetzen?
Rosenthal: Das wohl nicht, aber es hilft. Außerdem habe ich das Gefühl, dass meine Vorfahren beruflich mit Essen und Trinken zu tun gehabt haben. Zumindest haben sie große Familienessen immer genossen. Und in der alten Nachbarschaft in New York haben wir jeden Tag frisches Gemüse beim Italiener gekauft. Von daher kam ein frühes Empfinden für Genuss.
Standard: Wie wichtig waren die Sechzigerjahre für Sie?
Rosenthal: Sehr. Sie haben den Kern der Rebellion angelegt, die es mir ermöglicht hat, meinen Anwaltsjob zu verlassen und etwas ganz Neues zu probieren. Es war eine gute, wichtige, inspirierende Zeit, eine Zeit, in der Protest möglich war und auch gehört wurde. Jetzt ist es tot. Wir sitzen in einer Leichenhalle der Gedanken. Aber wissen Sie, jedes Imperium hat seine Ablaufzeit. Und manchmal geht es schneller.
Standard: Wer hat Sie in Ihrer Beurteilung der Weinwirtschaft geprägt?
Rosenthal: Auf Rutgers University gab es einen marxistischen Geschichtsprofessor namens Eugene Genovese, von dem habe ich gelernt, dass die Dynamik dessen, was in den USA passiert, weniger mit „Freiheit“ und „Demokratie“ zu tun hat als vielmehr mit ökonomischen Interessen. Genau das sehe ich auch in der Weinwelt. In den letzten 20 Jahren wurde sie von einer Nischen zu einem Geschäft, in dem man eine Menge Geld verdienen kann. Die Medienaufmerksamkeit und die riesigen Investitionen haben dazu beigetragen.
Standard: Wie sieht das High-End dieses Geschäfts aus?
Rosenthal: Es gibt ein modernes und ein traditionelles Lager. Wie im Film Mondovino zu sehen ist, positioniert zum Beispiel die Familie Harlan in Kalifornien ihren Wein streng nach Marketing-Kriterien, sie wollen vor allem das Image eines Premium-Produkts erzeugen. Andererseits gibt es Winzer, wie wir sie vertreten, die stehen am anderen Ende des Spektrums. Langfristig gesehen überleben diese „Klassiker“ eher, sie behalten ihren Platz in unserer Kultur. Wenn ich also Leute sehe, die jetzt nach den hohen Preisen und den am stärksten beworbenen Marken gehen, dann ist mir das recht, denn ich glaube, die werden mit der Zeit lernen und schließlich zu uns kommen. Denn hier finden sie die Weine, die „länger dauern“. Sie werden Stile und Ausdrucksvarianten finden, mit denen man länger leben kann. Es gibt eben Perioden, da suchen die Leute Extreme und das Neueste auf, und dann kommen sie wieder zurück – das ist irgendwie zyklisch.
Standard: Wie würden Sie Ihr Anliegen definieren?
Rosenthal: Wir helfen bei der „Konservierung“ – ich meine das nicht in einem statischen Sinn, sondern so, dass wir die traditionellen Weine erhalten wollen. Das ist wichtig, denn sie definieren den Standard.
Standard: Sie scheinen seit Ihrem Erlebnis in Bayonne Frankreich treu geblieben zu sein.
Rosenthal: Ich arbeite in fast jedem Anbaugebiet Frankreichs. Und in Italien, das war ein wichtiger Teil meiner Erfahrung. Die ersten Weine, die ich importierte, waren aus dem Piemont. Wenn wir von „gedanklicher Strenge“ (intellectual rigor) reden: Für die Nebbiolo-Traube braucht es das in höherem Ausmaß als für Pinot Noir aus dem Burgund. Sie ist vielleicht weniger komplex, aber noch schwerer zu „verstehen“.
Standard: Was meinen Sie damit?
Rosenthal: Das heißt schwer zu verstehen, wie sich der Wein entwickeln wird. Wenn man jungen Nebbiolo-Wein kostet, was ja mein Job ist, dann hat man es nicht leicht, dessen Zukunft herauszulesen.
Standard: Haben Sie Im Piemont eine Lieblingsgegend?
Rosenthal: Ja, das nordwestliche Ende, kurz vor dem Val d’Aosta. Dort wächst der Carema-Wein, ein Berg-Nebbiolo, das ist der eine Wein, ohne den ich nach 28 Jahren Praxis nicht auskommen möchte. Mein Freund Luigi Ferrando produziert ihn.
Standard: Was halten Sie von der Arbeit des piemontesischen Starwinzers Angelo Gaja, der die dortigen Weine in auch preislich unbekannte Höhen getrieben hat?
Rosenthal: Ich halte das für keine gute Entwicklung. Nicht dass der Wein nicht gut wäre. Doch die Frage ist: Warum soll man in so guten Appellationen wie Barolo und Barbaresco Sorten mischen? Ich verteidige die Konzepte von Terroir, von DOC- und AOC-Gesetzen, die historische Referenzen sind.
Standard: Aber der Chianti Classico zum Beispiel, ein DOC-Wein, ist auch eine Sortenmischung.
Rosenthal: Ja, aber um ein großen Chianti zu machen, muss man sich vor allem auf die Sangiovese-Traube konzentrieren. Die anderen Sorten, die ja auch autochthon sind, kann man beimischen. Die Beziehung zwischen einer bestimmten Rebsorte, dem Boden und dem Klima ist und bleibt für mich fundamental. Nur weil man etwas anderes tun kann, muss man es ja nicht tun.
Standard: Wann und wie kommen Sie auf neue Gegenden für Ihr Importgeschäft?
Rosenthal: Gelegentlich schaue ich mir Neues an. Zum Beispiel den Friaul, doch die dortigen Weine haben mich nicht wirklich begeistert, das ist für mich das Kalifornien von Italien. Die Gegend wurde in die Moderne gedrängt, das war okay, doch die Resultate wirkten irgendwie gezwungen. Das hat, denke ich, vor allem damit zu tun, dass die Leute dahinter oft nicht aus der Weinwelt kamen. Ich war auch in Südafrika, kaum dass die Apartheid-Sanktionen zu Ende waren. Ich kam mit einigen wirklich guten Weinen zurück, aber sie waren ein Flop.
Standard: Warum?
Rosenthal: Die USA waren nicht bereit für Weine aus Südafrika. Das Land war ja, zu Recht, lange Zeit sehr schlecht angeschrieben gewesen. Letztlich war mir Südafrika aber auch zu weit weg, als dass ich es weiter versucht hätte, und so habe ich mich auf Europa konzentriert. Sicher gibt es auch das eine oder andere Gebiet in Argentinien oder Chile, die interessant wären. Australien hingegen berührt mich nicht sehr.
Standard: Es gibt viel Kritik an der Dominanz des amerikanischen Weinkritikers Robert Parker und an seinem angeblich diktatorischen 100-Punkte-System. Ist es nicht genauso problematisch, wenn man nun sagt, das man selber die „bessere“, auf Terroir basierende Werteskala anbietet?
Rosenthal: Zunächst einmal habe ich kein Problem mit Parker oder Stephen Tanzer oder anderen Kritikern. Sie sagen klar, was sie mögen und was nicht. Das Problem ist, dass das Publikum ihnen die Entscheidungsgewalten übertragen hat und nur mehr Punkteskalen liest. Das ist ja Schwachsinn. Wenn man kein Klon von Parker ist, warum soll man dann glauben, dass sein Geschmack wie der eigene ist? Ich will andererseits kein Guru für irgendjemanden sein, auch wenn alle nach Gurus Ausschau halten, weil sie ihren Urteilen nicht trauen, sich nicht zu experimentieren trauen. Ich kann nur sagen: Wenn dir ein Buch interessant erscheint, dann kauf es. Wenn es dich dann doch nicht interessiert, mach es zu und leg es weg. Wart nicht auf ein Imprimatur.
Standard: Wir oft sind Sie in Europa, um zu experimentieren?
Rosenthal: Sooft es geht. Und jedes Mal, wenn ich mit den Winzern rede und verkoste, habe ich das Gefühl, wieder dazugelernt zu haben. Die fundamentale Bedeutung der Pflanze selbst wird mir immer bewusster – egal, was für ein Genie man im Keller sein mag, es muss erst mal die Rebe gut sein. 90 Prozent des Weins, sagen die Burgunder, werden auf dem Feld gemacht.
Standard: Wo möchten Sie noch hin, um Neues zu finden?
Rosenthal: Sicher in die Gegenden südlich von Umbrien und der Toskana: Apulien, Kalabrien ... dort gibt es noch wunderbaren authentischen Wein, und wenn man deren Essenz einfangen will, dann muss man das schnell tun, weil sie von den modernistischen Tendenzen überrannt werden.
Standard: Und was tun Sie konkret?
Rosenthal: Nun, ich fahre zu solchen Winzern hin, manchmal auf Empfehlungen von anderen Weinbauern, ich rede – ich kann Italienisch –, verkoste, und dann entscheide ich mich vielleicht, einen Wein in mein Programm aufzunehmen.
Standard: Was ist mit den sonstigen weißen Flecken auf Ihrer europäischen Landkarte?
Rosenthal: Ich habe enormen Respekt vor den großen Mosel- und Rhein-Weinen. Und ich wäre gerne in Spanien gewesen, bevor die Modernisierung eingesetzt hat, ebenso in Süditalien. Andererseits wäre ich dann jetzt nicht so gut auf meinem eigentlichen Gebiet. Bei den Journalisten sehe ich das so ähnlich: Sie können nicht auf allen Gebieten bewandert sein. Wenn sie trotzdem über alles schreiben, dann als Kritiker, die ihre Meinung verbreiten, aber nicht als kenntnisreiche Fact-Finders. Darum wird soviel Unsinn geschrieben.
Standard: Zum Schluss noch eine Frage pro domo: Was ist Ihre Meinung zu den österreichischen Weinen?