Trier - Eine kritisch-aktuelle Auseinandersetzung mit dem geistigen Vermächtnis von Karl Marx soll in dessen Geburtsstadt Trier neu angestoßen werden. "Die Fragen, die er gestellt hat, können wir uns heute auch noch stellen", sagte Prof. Beatrix Bouvier, Leiterin des Karl-Marx-Hauses in Trier im Gespräch mit der dpa. Gerade im Zuge der Globalisierung komme die Frage nach einer Erklärung der Gesellschaft durch die ökonomische Dominanz neu auf.

Marx war 1818 in Trier geboren, sein Geburtshaus wird seit Anfang März umgebaut. In den Ausstellungsräumen des Karl-Marx-Hauses will Bouvier neben Marx' Leben und Thesen vor allem auch seinen späteren Einfluss darstellen: "Die bisherige Ausstellung hörte mit Marx Tod auf." Vom 9. Juni an werde dagegen mehr als die Hälfte der Räume dem Wirken nach seinem Tod gewidmet. "Es soll keine Erinnerungsstätte für Marx sein, sondern wir setzen uns kritisch mit ihm auseinander."

"Die Globalisierung macht uns derzeit rat- und hilflos. Wir müssen die Wertfrage stellen", erläuterte die Historikerin. Es fehlten in der heutigen Zeit wieder Instrumentarien, mit denen wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen gesteuert und begriffen werden könnten. Marx' Analysetechniken tauchten bei Erklärungsversuchen immer wieder in aktuellen politischen Diskussionen auf: "Marx hat uns alle geprägt wie kaum jemand anderer", sagte sie.

Gesetzmäßigkeiten aus Marx' Tendenzen

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, dass die Hinterlassenschaft des Stammvaters des Marxismus fragmentarisch ist, er also kein geschlossenes System entwickelt habe. "Es sind bei Marx auch Dinge offen geblieben, vielleicht auch, weil er nicht weiter kam", sagte Bouvier. Nach seinem Tod seien aus seinen "Tendenzen" schnell Gesetzsmäßigkeiten abgeleitet und zu einem wissenschaftlichen Theorie-System zusammen gefügt worden.

Junge Wissenschafter verfolgten nun einen neuen Ansatz und verglichen Marx mit anderen Philosophen des 19. Jahrhunderts, sie "dekonstruierten" sein Denken. Auf diese Weise würden die Lücken in seiner Philosophie sichtbar. "Das findet natürlich nicht Beifall bei den marxistisch geprägten Ökonomen, die an dem System hängen." (APA/dpa)