Andreas Maislinger ist Vorsitzender des Vereins "Auslandsdienst" und wissenschaftlicher Leiter der Braunauer Zeitgeschichte-Tage.

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derStandard.at: Wie schätzen Sie die Bedeutung des Berichts der Historikerkommission über den NS-Vermögensraub ein?

Maislinger: Die Bedeutung wird man erst in einigen Jahrzehnten abschätzen können. Es ist in den letzten Jahren immer mehr zu einem internationalen Standard geworden, Klarheit in die dunklen Seiten der Geschichte zu bringen. Die Republik Österreich hat mit dem Bericht der Historikerkommission aufgeholt. Die Schande der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte bleibt jedoch.

derStandard.at: Der Vorsitzende der Historikerkommission Jabloner meinte gestern anlässlich der Präsentation des Berichts in Buchform, er hoffe, dass der Bericht zu einer Veränderung der Mentalität führt. Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit dieses Ziel erreicht werden kann?

Maislinger: Zwei Meter Bücher werden nicht zu einer Veränderung der Mentalität führen. Da ich eine Wohnung voller Bücher habe, würde ich mich über diese Wirkung freuen. Dem ist leider nicht so. Die Mentalität ändert sich weniger durch Bücher als durch Vorbilder und Handlungen. Vorbilder kann man allerdings nicht wie einen Historikerbericht in Auftrag geben. Handlungsmöglichkeiten können jedoch angeboten werden. Der von mir 1992 gegründete Gedenkdienst will für junge Österreicher Handlungsmöglichkeiten anbieten.

derStandard.at: Wie könnte man Jugendlichen dieses Thema näher bringen?

Maislinger: Vor allem durch Begegnungen mit anderen Jugendlichen verschiedenster Herkunft. Kinder und Jugendliche lernen vor allem von Gleichaltrigen.

derStandard.at: Aus Ihrer praktischen Erfahrung: Nimmt das Interesse von Zivildienern, den Dienst beim Gedenkdienst zu leisten, eher zu ab oder ist es gleich bleibend?

Maislinger: Das Interesse am Gedenkdienst ist nach einem starken Anstieg Anfang der 90er Jahre in den letzten Jahren (auf hohem Niveau) etwa gleich bleibend. Für Sozial- und Friedensdienst-Projekte nimmt das Interesse weiter zu. Ich finde es gut, wenn Jugendliche damit ihre Verantwortung gegenüber der Vergangenheit (Gedenkdienst), der Gegenwart (Sozialdienst) und der Zukunft (Friedensdienst) wahrnehmen.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie den Stand der Restitution in Österreich: Wurde aus Ihrer Sicht genug geleistet?

Maislinger: Nein. Auch wenn wir im Bereich der Restitution endlich gegenüber Deutschland nicht mehr nachhinken, genug ist es nicht. Es ist vor allem spät, sehr spät.

derStandard.at: Wie begegnen Sie Forderungen nach einem Schlussstrich unter die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit?

Maislinger: Über den Nationalsozialismus wird man noch in 2000 Jahren sprechen und sich mit der Person Adolf Hitler beschäftigen. Wir haben ja auch unter Alexander den Großen keinen Schlussstrich gezogen. Allein das Wort Schlussstrich ist ein Unsinn. In der Geschichte gibt es keinen Schlussstrich.

derStandard.at: Gibt es einen Moment, wo Sie sagen, dass der Auslandsdienst seine Aufgabe erfüllt hat und sich auflösen kann?

Maislinger: Nein. Der Gedenk-, Sozial- und Friedensdienst sollte eher noch ausgedehnt werden. Nächstes Jahr wird der 1000. Auslandsdiener seinen Dienst antreten. Die Arbeitsmöglichkeiten haben sich seit 1992 ständig erweitert. In einigen Monaten werden die ersten Gedenkdiener nach Bulgarien und China gehen und wir planen auch die Mitarbeit in der kroatischen Gedenkstätte Jasenovac. Im Auslandsdienst gibt es noch viele Herausforderungen für junge Österreicher. Wir sollten ihnen diese auch ermöglichen.