Wien - Für das gedrungene Mädchen mit den verstrubbelten Haarsträhnen im roten Samtkleid handelt es sich um die natürlichste Sache der Welt: Gib mir, lieber Rittmeister - so bittet sie geschliffen spanisch einen aufbrausenden Haushofmeister - ein paar Ritter und reisige Knechte, damit ich dem französischen Dauphin die Krone gewinnen und die Engländer, die gegen Gottes Willen Frankreichs Äcker "zu Wüsten" machen, aus dem Feld stechen kann!

Es ist nichts Auftrumpfendes an dieser Heiligen Johanna der mexikanischen Suburbs, die sich als Festwochen-Gast im Wiener Museumsquartier einer ehrgespreizten, zungenschlagfertigen Ansammlung schlotternder Gossen-Machos aus den Hühnerhinterhöfen Zentralamerikas gegenübersieht.

Regisseur Claudio Valdés Kuri, gemeinsam mit Maricarmen Gutiérrez Urheber einer zutiefst erfrischenden, plebejischen Jeanne-d'Arc-Version unter dem Titel Dónde estaré esta noche (Wo bin ich heute Nacht?), räumt zwischen zwei Tribünen einen Spielstreifen frei: einen Laufsteg für zweifelhafte, das Herz und die Sinne bestürzende Glaubensgewissheiten. Denn wer oder was sind schon "Stimmen", die jemand aus den Tiefen seiner Seele hervorkramt, um eine beispiellose Orgie der Gewalt zu entfesseln, um anschließend auf dem Scheiterhaufen zu sterben?

Kuri und sein TeatroDeCiertosHabitantes halten sich mit der Geißelung kurrenter US-amerikanischen Ordnungsfantasien nicht etwa auf. Sie kehren einfach die Beweislast um: Johanna entstammt einer Kriegskultur gemästeter Selbstdarsteller. Die sich obendrein im Museumsquartier unter das Publikum mischen, mit ihren Handys spielen, harmlose Zuschauer zum Tänzchen bitten und den Rollstuhl des behinderten Dauphins wie einen gefährlich schlingernden Spielball durch die Gasse ihrer tätigen Missgunst jagen.

Verspotteter König

Der verspottete, spuckende Kassenbrillenträger erhebt sich aus seinem Gefährt und legt anlässlich seiner Verhöhnung einen fahlgelben Wanst frei. Es sind diese Momente einer absolut zeitgenössischen Verzweiflung, die einen rustikalen Abend um zahlreiche Proben einer schönen, geradezu mystisch hellhörigen Denkungsart sehr sinnfällig bereichern. Der geheiligte "Körper des Königs" (Ernst Kantorowicz) ist der unansehnliche Fetisch einer gleichwohl göttlichen Ordnung.

Auf ihn kann daher nur setzen, wer es gleich mit dem gesamten irdischen Elend aufnimmt. In einer Schlacht um Orlèans, die mit Sturmleitern, regelrechten Fallreeps, im Trockeneisnebel samt Hörnerklang und Dudelsackgepfeife wie eine Rangelei zwischen Reeperbahn-Luden traumüberhitzt geschlagen wird.

In einem Prozess, der wie ein (deutschsprachiger) Gangster-Rap über ein unscheinbares Mädchen verhängt wird, das, an einer Art Tisch-Synthesizer die wonniglichsten Melodien ersinnend, zum Ende seiner Erdentage auch nicht mehr zu sagen weiß als: "Mein freundlicher Erlöser. Ich akzeptiere den Tod. Lass mich nicht zu sehr leiden. Wo werde ich diese Nacht sein?" Auch so: ein sinnreicher Abend. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 5. 2005)