Die Realität ist, dass sich die Neutralität spätestens seit dem EU-Beitritt Österreichs überlebt hat. Schon zu Zeiten der großen Koalition wurden Kampfeinsätze ermöglicht, unter Schwarz- Blau die Formel "solidarisch in Europa, neutral im Rest der Welt" erfunden - wobei solidarisch notfalls auch kriegsführend heißen kann. Dem gegenüber steht die politische Inszenierung: Mit schöner Regelmäßigkeit beteuern mittlerweile alle Parteien, auch die einst skeptische ÖVP, dass die Neutralität unantastbares Nationalheiligtum ist. Jüngstes Beispiel: das BZÖ, dessen Chef Jörg Haider die Neutralität durch eine Volksabstimmung neu bewerten lassen will - wohl als nicht ganz uneigennützige Krönung des an patriotischer Inszenierung nicht gerade armen Jubiläumsjahrs.
Aus agitatorischer Sicht wäre eine solche Volksabstimmung durchaus interessant: In welchem politischen System der westlichen Welt bitten Regierende Regierte sonst zu den Urnen, um eine ideologische Chimäre als offizielle Staatsdoktrin zu bekräftigen?