Anwärter auf die Goldene Palme: Daniel Auteuil und Juliette Binoche, die Stars von Michael Hanekes neuem Film "Caché", beim Dreh ...

Foto: Filmladen

...und in einer Szene des Films.

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Cannes - Jahrmarkt, Gaukelei und viel Volk am Straßenrand, das die Gaukler und die edlen Herren und Damen ausgiebig bejubelt. Diesem doch ziemlich altertümlichen Gestus huldigt das Filmfestival in Cannes trotz aller angestrebter "Innovationen" auf diversen Leinwänden mit ungebrochenem Erfolg. Cannes, das ist, etwas zugespitzt formuliert, ein ewig neureicher Badeort, der alle heiligen Zeiten auf Metropole macht, und aus dieser etwas provinziellen Attitüde ergibt sich auch jene unvergleichliche Mischung aus Vulgarität und produktiver Neugier, Selbstüberhöhung und Avantgarde, die großstädtische Festivals wie jenes in Berlin nie auch nur annähernd zu generieren vermögen.

Der österreichische Regisseur und Autor Michael Haneke, der in Cannes zuerst vor allem als kulturpessimistischer Moralist und gewissermaßen als Fremdkörper reüssierte - er scheint sich mittlerweile in diesem bunten Treiben durchaus wohl zu fühlen. Kein Wunder: Mit Caché präsentierte Haneke am Samstag seinen bereits achten Film an der Croisette. Und so sehr der rote Teppich vor dem Festivalpalast Hanekes Weltkarriere mitbegründet hat, so wenig ist der Filmemacher mittlerweile aus dem fixen "Ensemble" des in Cannes definierten Weltkinos wegzudenken.

Heuer wird er ersten Kritikerumfragen zufolge sogar zum engsten Kreis der Favoriten für die Goldene Palme gerechnet. Für Österreich könnte das nach dem Nobelpreis für Elfriede Jelinek vielleicht kurzfristig wieder Anlass zu einem patriotischen "Wir sind super!" geben. Wie Jelinek dürfte sich aber Haneke für derartige Vereinnahmungen glaubwürdig nicht bedanken, einfach weil Caché sehr erkennbar ein Haneke-Film und zweitens eine europäische Koproduktion ist.

Aber was ist das heute schon: nationales Kino? Bereits die erste Einstellung von Caché, über die sich lapidar der Vorspann als Textblock fortschreibt, wirkt wie ein böser Witz in europäischen Medienzeiten. Man sieht, auf hochauflösendem Videomaterial gedreht: ein Großstadtviertel, eine Straße, Autos am Straßenrand, darüber die Häuserfassaden als obligate Mixtur von Baustilen, Abnützungserscheinungen. Und darüber ergibt sich langsam Zeile für Zeile die Auflistung von Marktwerten und Kompetenzen: Förderungsinstitute, Geldgeber aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Starnamen, technische Mitarbeiter, und erst ganz am Ende - als wäre es fast schon mühsam, hinter all diesem Aufwand noch ein Autoren-Ich, eine Handschrift zu konturieren - lapidar die Nennung des Regisseurs: Michael Haneke.

Schnell folgt die nächste gefinkelte Wendung: Das vermeintlich alltägliche Stadt-Bild ist eine Drohung. Einem erfolgreichen TV-Kulturmoderator wird damit zu verstehen gegeben, dass er und seine Familie von anonymer Seite her unter Beobachtung stehen. Wendung Nummer drei: Irgendwann wird klar, dass das "terrorisierte" Opfer vielleicht selbst starke Neigungen hat, andere zu bedrohen oder zu hintergehen.

Man würde nun durch Inhaltsangaben die Wirkung von Hanekes Film beträchtlich mindern. Daher vorerst nur so viel: Dass er irgendwann Themen wie den Algerienkrieg aufs Tapet bringt, dass ihn die Protagonisten letztlich nur sehr bedingt interessieren und dass daher manche Dialoge eher länglich als vielsagend geraten sind - das ist alles weniger von Belang als schlicht und einfach die ungewöhnliche, gespenstische Stimmung, die der Filmemacher mit der Frage generiert: Ist es möglich, dass niemand für die Drohvideos verantwortlich ist? Dass hier vielleicht sogar Videos versandt werden, die gar nicht gedreht worden sein können, ohne dass dies dem Bedrohten sofort aufgefallen wäre?

In direkter Nachbarschaft zu Mediengruselfilmen wie The Ring, wenngleich weniger spektakulär, entwickelt Haneke vor allem auf dieser Ebene des Films im Film beziehungsweise des Videos im Video beträchtliche Wirkkraft. Und offeriert gleichzeitig unzählige Lesarten einer Geschichte, von der teilweise nicht klar ist, wer sie "erzählt" und - was im Vergleich zu einigen früheren Haneke-Filmen vergangener Jahre positiv auffällt - welche Haltung mit ihr zu verbinden wäre.

Wie sagte Michael Haneke im Rahmen der Pressekonferenz in Cannes: "Ich habe sehr viel Arbeit damit gehabt, um in dem Film viele Möglichkeiten anzubieten." Man darf gespannt sein, welche Chancen sich jetzt dafür am Jahrmarkt zu Cannes entwickeln. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.05.2005)