Schweiz, surreal

Seltsame Vokabeln und merkwürdige Riten zeichnen die 18 Kurzkrimis aus unserem Nachbarland aus. "Tatort Schweiz" (Hrsg: Paul Ott, € 20,70, Limmat) ist bestückt mit heimischem Brauchtum, pfiffigen Mördern und renommierten Autoren. Ein erpresserischer, griechischer Mönch will die Swatch-Group kaufen, ein Lehrer versucht vergeblich, die Schweizer Banken für etwas so Nutzloses wie eine Dichterlesung zu gewinnen, ein Jugendlicher entzieht sich allzu penetranten Sozialisierungsversuchen, eine Witwe sammelt die Renten ihrer Ex-Männer, und Leute mit botanischen Kenntnissen sind auch nicht ungefährlich. Eventuell könnte man für diesen charmanten Sammelband eine neue Subkategorie einrichten: Ethno-Surrealismus.

Wien, gemütlich

Ausgerechnet vor dem Haus des nicht nur kriminalistisch dilettierenden Herrn Palinski wird ein Schauspieler zu Tode gebracht. Verdächtige gibt es viele, und der Krimi "Pastetenlust" (€ 9,90, Gmeiner-Verlag) gestaltet sich dementsprechend wortreich und langwierig. Der Autor, der das Pseudonym Pierre Emme verwendet, hat's nicht auf einen Action-Thriller abgesehen, was bei dem Schauplatz Wien auch völlig fehl am Platze wäre. Statt Sprengstoff setzt man Schoko-Nougat-Pasteten ein (Rezept im Anhang), und die sind im Kampf um eine Lebensversicherung auch schön wirkungsvoll. Manche Nebenfiguren des Debüts sind besonders gelungen und sollten Palinski weiter begleiten, zum Beispiel die durch nichts aus der Ruhe zu bringende Hausmeisterin.

Frankreich, aktuell

Am Beispiel Marie Antoinettes schildert Lea Singer die Klischees, mit denen bedeutende Frauen in der Öffentlichkeit diffamiert werden. Hübsch und prominent, das fordert pornografische "Enthüllungen" heraus, unterstellt finanzielle Gier und gibt Anlass zu Verdächtigungen aller Art. Singer zitiert aus historischen Schriften und zeigt, dass die Mechanismen sich nicht geändert haben. In ihrem faszinierend gescheiten Buch "Die österreichische Hure. 13 Unterhaltungen über Königin Marie Antoinette und die Pornographie" (€ 14,-, dtv premium) lädt eine Regisseurin drei Schauspielerinnen ein. Sie möchte einen Film über dieses Thema drehen. Doch in der Geschichte der Königin entdecken die Frauen schmerzliche Parallelen zu ihrem eigenen Leben.

Nepal, weit weg

Der greise Lucas ist eben aus dem Spital entlassen worden. Als er und seine Schwester nach Hause kommen, hat sich in der unversperrten Wohnung ein Straßenmusikant eingenistet. Die zwei alten Leute behalten Marcos bei sich. Lucas träumt davon, eine Expedition auf den Himalaya mitzumachen. Ob er nun mit dem alpinen Basislager kommuniziert oder mit seiner schon lange verstorbenen Frau, ist ihm eins. Wird der reale Aktionsradius klein, kann die Erinnerung immer noch ein Universum aufbauen. Der junge baskische Autor Unai Elorriaga schildert in "Lucas oder der Himmel über Nepal" (Deutsch: Karl Klewer, € 18,40, Schöffling) das Grenzland zwischen Leben und Tod, Fantasie und Wirklichkeit, poetisch, komisch und beunruhigend.
(is/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.5.2005)