Jetzt möchte ich Sie bitten:", schreibt Götz Schrage, "schonen Sie mich nicht." Dem Mann kann geholfen werden, er tut schließ- lich sein Bestes, um Unwillen, Widerspruch, Ablehnung zu erregen. Doch auch das genaue Gegenteil. Der Schwärmer entzweit den Leser.
Schonen wir ihn nicht. Das Buch des in Wien aufgewachsenen Mittvierzigers nennt sich zwar Roman, ist aber eine erbarmungslose, gelegentlich kokette autobiografische Rede an "Sie", eine Beichte, der Monolog eines Menschen, der sich für dumm, talentlos und lernunfähig, zugleich (gerade deswegen?) für ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft hält. Einiges aus seinem Lebenslauf hat er offenbar ausgespart, vieles dürfte drinnengeblieben sein ("es stimmen alle biographischen Fakten"), wohl unter anderen Namen der Beteiligten - und das ist gut so.
Denn die Bekenntnisse des Schwärmers handeln überwiegend von Mitmenschen in zweifelhaften bis verzweifelten Lebenslagen. Es sind Spieler und Ganoven, Zuhälter, Kellnerinnen und Nutten, unter ihnen ehemalige, derzeitige und erhoffte Freundinnen. Wenn nicht angeschwärmt, sind sie ziemlich schlecht angeschrieben. Sie heißen dann "Scheißkuh", "Slowakinnen-Blondinen", "Bimbos". Das wird ihm nicht viele neue FreundInnen bescheren.
Überhaupt schreibt Schrage so, als wolle er alle Regeln einer differenzierten Sprache und Betrachtungsweise, von politischer Korrektheit ganz zu schweigen, auf einmal brechen. Der eine "fickt wie ein Türke", die anderen sind "unglaublich geile, farbige Tänzerinnen". Der Terminus "scheiß" ist ständig Platzhalter für genauere Adjektive, wie etwa in "ein scheiß Druckfehler", das Wort "schwul" wiederum entzieht sich jeder genaueren Bedeutung: "schwule gelbe Postdinger" oder "schwules Netzkabel".
Nicht auszuhalten? Doch durch die ständig gewollt "primitive" Sprache unterläuft Schrage schließlich selbst die hoch gelegte Sex&Crime-Latte, der Leser wird auf anderes aufmerksam: auf ein gekonntes Spiel mit der Bekenntnissituation, auf schöne Bosheiten über doofe Literaturkritiker und Ferrari-Fahrer (traurige Männer, die "im Golfklub den Spind ganz hinten bei den Toiletten bekommen" - "Ein paar Bücher lesen, aufstehen, wenn eine Frau an Tisch kommt, und ihr im Winter in den Mantel helfen, ist viel bequemer und meiner Meinung nach erfolgversprechender."), auf Betrachtungen über das Schreiben (wie ein fahrender Zug, der keine Schienen hinterlässt); und darauf, dass Schrage Strichpunkte hasst.
Nach 59 Kapiteln mit teils wundersamen Überschriften ("Joe Strummer und die scharfe Karin/Peter Breughel und der Motherfucker") ist Götz Schrage wieder ganz am Anfang, in der Gosse. Es schließt sich ein Kreis wie in Pulp Fiction, mit dem Der Schwärmer einen Hang zu lakonischer Brutalität teilt.
Will man sich dem aussetzen? Wollen Sie ihn und sich selbst schonen? Sie haben die Wahl.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.5.2005)