Wien - "Wir halten eine starre Kontrollschwelle, egal in welcher Höhe, für verfehlt. Sie geht auch an der österreichischen Realität vorbei." Mit ungewöhnlich deutlichen Worten zu den Wünschen der Industrie für ein neues Übernahmegesetz meldete sich am Donnerstag Peter Doralt, der Vorsitzende der Übernahmekommission der Wiener Börse, zu Wort.

Gemeinsam mit den Kommissionsmitgliedern Josef Aicher, Hanspeter Hanreich, Birgit Langer und Oskar Grünwald begründete Doralt auch, warum ein spezieller Schutz für so genannte österreichische Kernaktionäre, als welche etwa die Fries-Gruppe bei Böhler-Uddeholm gesehen wird, nicht gewährt werden kann: "Weil es wichtig ist, dass Investoren von Veränderungen nicht überrascht werden, die sie nicht erwarten konnten." Es brauche faire Rahmenbedingungen zwischen allen Aktionären.

Besser als die von der Industrie geforderte 30-Prozent-Grenze, bei der ein Aktionär ein Übernahmeangebot stellen müsse, wenn er ohne Zukauf, aber durch den Verkauf eines anderen Aktionärs zum größten Aktionär wurde, sei daher eine flexible Regelung, die individuell auf das Unternehmen, dessen Aktionäre und den Markt abstelle. Dafür brauche es aber keine Novelle. Ausnahmen bei der Beurteilung, ob ein Kontrolltatbestand vorliegt, der ein Pflichtangebot auslöst, biete das Gesetz bereits jetzt.

Da an Hauptversammlungen (HV) in Österreich im Schnitt nur zwölf bis 18 Prozent des Streubesitzes teilnehmen, kann ein Aktionär mit 29 Prozent die Gesellschaft beherrschen und mit Dreiviertelmehrheit ohne Rücksicht auf 71 Prozent Streubesitzinvestoren nach Belieben umbauen.

Vermutlich würde eine 30-Prozent-Kontrollschwelle auch gegen EU-Recht verstoßen, so die Kommission. Flexibilität sei derzeit voll gegeben, in mehr als 40 Verfahren seien Ausnahmen von der Angebotspflicht gewährt worden.

- Verbesserungsbedarf sieht Doralt bei der Transparenz der Aktionärsstruktur. Offen gelegt werden sollte bei mehr als einem Prozent - auch von Treuhändern. "Fünf Prozent wären zu hoch", sagt Doralt.
- Fallen dürfte der 15-Prozent-Abschlag für den Streubesitz bei einem Pflichtangebot. Ein solcher Abschlag für Kleinaktionäre ist derzeit in Österreich zulässig, wenn es die Satzung nicht anderes vorsieht. In der EU-Richtlinie ist so eine Ungleichstellung allerdings nicht vorgesehen.
- Ermöglicht werden sollten Tauschangebote ("All-share-deals") auch bei Pflichtangeboten und freiwilligen Vollangeboten. Dadurch würde die Tendenz zur Umgehung des Übernahmengesetzes verringert. Allerdings müssten die als Gegenleistung angebotenen Aktien bestimmten Mindeststandards entsprechen.
- Verbesserungswürdig sind auch die Verfahren für das Delisting und die Abfindung von Aktionären.
- Höhere Strafen sollte es bei der Verletzung von Meldepflichten geben.

Eilig ist es mit dem Gesetz nicht, denn die Industrie will auf das Urteil der Verfassungsrichter in der Causa Böhler-Uddeholm warten. (ung, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.5.2005)