Jeder in Spanien kannte Enric Marco und seine Geschichte. Seit 30 Jahren tourte der heute 84-Jährige durchs Land und erzählte von Gräueltaten, denen er im KZ Flossenbürg ausgesetzt war. Zum letzten Mal trat er bei einer Gedenkfeier zur Befreiung der KZ-Häftlinge von Auschwitz im spanischen Parlament auf; als Vorsitzender der "Amical Mauthausen", der Organisation der spanischen Häftlinge in den Nazilagern. Jetzt stellte sich heraus: Enric Marco war niemals in Flossenbürg und auch nicht in einem anderen KZ.

Der spanische Historiker Benito Bermejo kam dem Betrug auf die Spur. "Ich hatte immer Zweifel an Marco", erklärt er. Als Marco seinem Wunsch nach einem längeren Interview zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus immer wieder auswich, begann Bermejo zu forschen.

Und siehe da: Marco war im Flossenbürger Archiv nicht zu finden, stattdessen stellte sich heraus, dass sich Marco 1941 als Freiwilliger gemeldet hatte, als Franco Facharbeiter in die deutsche Kriegsindustrie entsandte. Marco arbeitete bis 1943 in einer Kieler Werft und kehrte dann in seine Heimat Spanien zurück.

Marco selbst hat immer behauptet, er sei zwei Jahre nach dem verlorenen Bürgerkrieg nach Frankreich geflohen, wo er sich der Résistance angeschlossen habe. 1943 habe ihn die Gestapo geschnappt und nach Flossenbürg gebracht. 1945 sei er von den Alliierten befreit worden. Mit diesem Lebenslauf hatte es Marco nach dem Tod von Diktator Franco bis zum Generalsekretär der anarchistischen Gewerkschaft CNT gebracht.

Exhäftlinge schockiert

Der Betrug flog ausgerechnet am Vorabend der Gedenkfeier zur Befreiung der Insassen von Mauthausen auf. Marco war bereits mit einer spanischen Delegation, der auch Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero angehörte, in Österreich. Die früheren Deportierten legten ihm die Heimreise nahe. Einige Tage nach der Gedenkstunde trat Enric Marco zurück, die Amical machte den Skandal öffentlich. Die Überlebenden des Naziterrors sind schockiert; sie befürchten, dass der Skandal ein gefundenes Fressen für diejenigen sein könnte, die den Holocaust leugnen.

"Es war ein dummer Bubenstreich. Ich dachte, so könnte ich das Anliegen besser vertreten", versucht Marco jetzt das Unentschuldbare zu entschuldigen. Er sei tatsächlich von der Gestapo in Kiel verhaftet worden. "Ich habe in meinen Erzählungen nur den Schauplatz geändert", verteidigt er sich. Warum und wie er wieder freikam, erklärt er nicht. (Reiner Wandler/DER STANDARD, Printausgabe, 13.5.2005)