The National
Alligator
(Beggars Banquet/Edel)

Foto: Beggars Banquet

Wenn man sich in einem Lebensalter befindet, in dem es zurück zur Matura gleich weit ist wie vorwärts zum runden Geburtstag und den so genannten besten Jahren, lässt man zwischendurch gern einmal alle Hoffnung fahren. Die Gesichtsmuskeln werden müde von all den frohen Verheißungen, die das Leben angeblich noch, aber auf jeden Fall bitte demnächst verheißen mag. Wie überhaupt alles ein wenig nach unten zu hängen beginnt. Das ist dann im Leben eines Musikers oft die Zeit für späte Meisterwerke. Und es die Zeit, in der man beginnenden Alterszynismus am besten mit schonungsloser Offenheit gegenüber eigenen Defiziten bekämpft. Matt Berninger verhandelt mit murmelndem, abgeklärtem Bariton auf dem neuen Album seiner New Yorker Band The National bemerkenswerte Sachverhalte: "Karen put me in a chair. Fuck me and make me a drink. I lost direction and I'm past my peak. I'm telling you this isn't me. Karen believe me, you haven't seen my good side yet."

Nicht dass man jetzt so naiv sein müsste, die große Kunst dieses zeitlos modernen Chronisten privater Katastrophen für bare Münze zu nehmen. Da sei das gute alte Autoren-Ich und eine über die Kompositionsarbeit zwangsläufig entstehende Distanz zum eigenen Werk zwischengeschoben. Und natürlich schleichen sich auch, wenn schon nicht zynische, so zumindest ironische Textbrechungen ein: "It's a common fetish for a doting man, to ballerina on the coffee table, cock in hand."

Gemeinsam mit den Brüderpaaren Aaron und Bryce Dressner und Bryan und Scott Devendorf am klassischen Rockinstrumentarium sowie einigen Gästen an in diesem Fach obligaten Streichinstrumenten, Ergriffenheitstasten und Chören wird vielmehr eine Musik geschaffen, die eines vermag. Gerade über das Stilmittel der Illusionslosigkeit rennt man noch einmal und immer wieder durchaus auch wütend gegen den Zustand namens Lebens an.

Ähnlich wie die britischen Balladenkaiser Tindersticks oder auch Jarvis Cocker und Pulp in deren Spätphase holzen The National aber ihre Frustrationen nicht mit dem Kugelschreiber in der Faust aufs Papier. Hier wird mit Federkiel und leichter Hand sehr sorgfältig und bedacht gegen die Mauer gerannt. Die Gitarren ziselieren ähnlich verspielt "britisch" und doch zweckdienlich, wie es Peter Buck in der besten Zeit von R.E.M. bewerkstelligte - oder auch Johnny Marr bei The Smiths. Die Rhythmusabteilung agiert ebenfalls synkopenreich im Stile britischer New-Wave-Bands der frühen 80er-Jahre.

Produziert hat dieses hervorragende Album der auch schon für Interpol tätig gewesene Peter Katis. Er gibt den 13 Songs von Alligator eine dunkle Melancholie bei, die die Band nach der Vorgänger-CD Sad Songs For Dirty Lovers endgültig weg von den früheren Americana-Bezügen hin zu einer eigenen Stimme bringt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.5.2005)