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Als Wiener ist man ja immer wieder bass erstaunt, wie überschwänglich insbesondere Triestiner die Schönheit und den Stil der Stadt am Donaukanal loben können. Dabei sieht es aus unserer Perspektive eher so aus, dass die in Triest doch eh alles haben, was man an Wien mögen kann, und die Kraft und die Herrlichkeit Italiens noch dazu.

Konkret wird man sich in Triest niemals lange um einen anständigen, handgezogenen Apfelstrudel umsehen müssen, von Sachertorten, Putizza genannten Nuss-oder Mohnstrudeln und anderen Hervorbringungen austro-slawischer Konditorkunst ganz zu schweigen.

Auch das Siedefleisch, das gemeinhin für die Domäne der Wiener Küche schlechthin gehalten wird, erfährt in Triest beglückende Verehrung. Von den "Buffets" der Altstadt gibt es etliche, die sich explizit auf die Darreichung von Stelze, Schnauze, Leberwurst und anderen gesottenen Teilen von Sau und Rind spezialisiert haben, die man in Wien schon lange nicht mehr serviert bekommt. Mit einer Selbstverständlichkeit, die sich nur über Jahrhunderte so eingespielt haben kann, dampfen Suppenkessel voll Versuchungen, die auf Verlangen herausgefischt, auf eingelassenen Marmorplatten zurechtgesäbelt, mit einem Schöpfer "Crauti" versehen und mit Stürmen von Krenflocken bedeckt werden, dass es einen nur so schüttelt vor Vergnügen und Lebenskraft.

Und überhaupt, die Buffets: Ob sie nun "da Pepi", "da Mario" oder "Birreria Rudy" heißen, in Wahrheit sind sie doch allesamt Tempel eines Kultes, der wienerischer nicht sein könnte - und in Wien dennoch fast vergangen ist. Der Kult um die "Merenda de pirón " nämlich, was sich wörtlich als Gabelfrühstück übersetzen lässt und aus kleinen Portionen vorzugsweise deftiger Speisen besteht, welche mit vernünftigen Mengen Alkohols zwischen dem morgendlichen Caffè und Kipfel und dem Mittagstisch eingenommen werden wollen, um das Wohlbefinden zu steigern und den Gaumen bei Laune zu halten.

Dazu gehört etwa Schinken (prosciutto, prsut) von unfassbarer Qualität, der zwischen Friaul, dem slowenischen Karst und der istrischen Halbinsel in einer grenzüberschreitenden Konzentration und Vielfalt heranreift, die weltweit mit Sicherheit einzigartig ist.

Auch die Cevapcici sind ein gastronomisches Erbe der Monarchie, das in Triest (im Unterschied zu Wien) mit Hingabe gepflegt wird - wenn auch hauptsächlich in privatem Rahmen. Wer einmal Triestiner Cevapen mit Gorgonzolacreme und Radicchio trevisano futtern durfte, wird diese Grundpfeiler balkanischer Geselligkeit nicht mehr gering schätzen.

Aus Gründen wie diesen ist ein Aufenthalt in Triest für den leidgeprüften Austriaken stets auch so etwas wie Heimat-Urlaub in einer Stadt, in der alles so zu sein scheint, wie es in einer gerechten Welt zu Hause auch wäre. Das gilt natürlich ganz besonders für den freien Blick aufs Mittelmeer. (Severin Corti/Der Standard/rondo/13/5/2005)