"Mademoiselle Misoni" von Philippe Starck für Kartell

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"Sushi" von Cario Colombo für Zanotta

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Kitsch hat Konjunktur - oder: Wie eine Branche Trost spendet.

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Die Welt wird schöner. Fast so schön wie früher, als noch alles seine Ordnung hatte. Als Handwerker ihrem Formgefühl folgten, reich verzierte Tischbeine drechselten, mit Engelsgeduld Ornamente schnitzten, Vergoldungen aufbrachten und überhaupt. Als Schwelgen in verschwenderischen Formen zum guten Ton der gehobenen Schichten gehörte. Als es noch Einzelstücke gab, und global anonym produzierte Waren noch unvorstellbar waren. Heuer im April, da der 44. "Salone Internazionale del Mobile" seine Tore in Mailand öffnete, bestätigte sich ein Trend, der sich vor drei Jahren zaghaft anbahnte und sich heuer durch die Hallen rankte: Es darf geprotzt werden.

Prächtige Muster und florale Formen malen die Designer nun auf ihre Möbel, häkeln Deckchen und dekorieren Oberflächen: Folklore floriert. Spießer-Schick, eben noch im Baumarkt belächelt, beschwichtigt das inzwischen verängstigte Publikum der Avantgarde. Bereits im vergangenen Jahr zeigte Kartell die Tischleuchte Bourgie (Design: Ferruccio Lavani), die mit barocker Wülstigkeit prahlte. "Wie geschnitten Brot", sagt ein Händler, verkaufe sich das barocke Gebilde. In Zahlen: 50.000 Stück konnte Kartell in einem Jahr absetzen. Stolze 12 Prozent Umsatzwachstum vermeldet der Hersteller von Kunststoffmöbeln denn auch für das abgelaufene Jahr. Was weit über dem Branchenschnitt liegt. Und: Kartell will weiter wachsen. Zum Beispiel mit dem Stuhl Mademoiselle von Philippe Starck, der nun mit Blumenbildern und anderen Mustern aus der Feder von Rosita Missoni angehübscht wurde. Oder mit dem Tisch T-Table, entworfen von Patricia Urquiola. Aus Luftblasen bestehende Muster zieren die transparente Tischplatte, sodass augenblicklich jenes anheimelnde Ambiente in Erinnerung tritt, das bislang nur Omas Spitzendecke zu wecken vermochte.

Usame von Urquiola

Die gleiche Botschaft versprühen auch kleine, transparent-farbige Beistelltische mit dem Namen Usame, deren formale Strenge die Designerin Urquiola mit Blumendekorationen und einem Ginko-Blätter-Look gepaart hat. Sie ist omnipräsent in den Hallen der Qualitätshersteller, die in Mailand lebende Spanierin Patricia Urquiola. Sie gibt inzwischen den Ton einer ganzen Branche an. Für B&B Italia hat sie etwa ein Sofa in traditioneller Stepp-Optik sowie einen - klar, mit Ornamenten versehenen - Beistelltisch entworfen. Viccarbe zeigt einen Urquiola-Hocker und Foscarini eine Urquiola-Deckenleuchte. Aber wie keine andere der Edelmarken hat die 44-Jährige das Unternehmen Moroso geprägt. Schon vor drei Jahren ließ sie Blumenvorhänge von der Decke baumeln. In diesem Jahr zitiert sogar der Firmenschriftzug, gesetzt in Frakturlettern, die wohlige Romantik und Geborgenheit vergangener Tage. Bei Moroso nennt man das - etwas überhöhend - Eklektizismus, spricht aber gleichzeitig von einer freien, expressiven Designsprache, die derzeit verfolgt würde. Tatsächlich: Nirgendwo sonst finden sich so unterschiedliche Extreme, die jedoch, auf seltsame Weise, in der Summe ein stimmiges Bild ergeben.

Marcel Wanders bereichert die Kollektion etwa mit einem Sofa, das allein durch fröhliche Farbmuster den träumenden Vergangenheitszeitgeist einfängt. Für Cappellini, das einstmals innovativste Avantgarde-Label der Branche, hat er, das soll hier nur kurz am Rande eingeworfen sein, einen Sessel mit gedrechselten Beinen entworfen. Dieser, das möchte man hoffen, möge sich ebenfalls wie geschnitten Brot verkaufen. Dann nämlich könnte Cappellini vielleicht doch wieder an seine verdienstvolle Tradition anknüpfen, die der Avantgarde einst den Weg wies - wofür derzeit, leider, keine begründete Hoffnung mehr besteht.

Dieser Weg wird zusehends bei Moroso beschritten

Hier bestaunen wir, neben Urquiolas variantenreichen Entwürfen, Ron Arads Liebe zu voluminösen Rundungen (Three Skin Chair, Ripple Chair), Alfredo Häberlis Hang zu großformatigen und Schutz bietenden Arm- und Kopflehnen (Skate System, Take off Armchair) sowie Ross Lovegroves Zuneigung zu organischen Formen (Supernatural Chair). Hier wird bestes Autorendesign gepflegt. Auch Clemens Weishaars Countach Table ist in die Oberliga des Designs vorgestoßen: Ein verknittertes Tischgestell, das bislang vielfach von der Fachwelt beklatscht wurde, hat nun einen Produzenten gefunden. Immerhin ist es Weishaar mit dem Projekt gelungen, eine ideologisch kontaminierte Überlegung aus der Theorie in die Praxis zu überführen. Sein Möbel wird im Computer generiert, stets individuell, und dann als Einzelstück gefertigt: Der erhoffte Sieg des seriell gefertigten Einzelstücks scheint greifbar nahe. Das freut die Individualisten, kann über die ästhetische Unbeholfenheit der Knittertechnik indes nicht hinwegtäuschen.

Dieses Möbel wird voraussichtlich, trotz kluger Theorie, kaum zum Verkaufshit aufsteigen. Ist das Möbel doch eher als ein Statement einzustufen - oder als Medien-Gag, jedenfalls als ein geglückter Versuch des Ex-Grcic-Praktikanten zu werten, jenen Kristallinformen, die der Münchner Designer Konstantin Grcic mit beachtlicher Kontinuität weiterentwickelt, eine neue Facette abzuringen. Ohne sie zu kopieren. Denn ohne Zweifel: Als Grcic vor einigen Jahren mit dem Verschränken von Dreiecken begann, die statischen Folgen dieser Technik besonnen studierte, konnte niemand ahnen, dass daraus ein Trend erwachsen würde - bereits vielfach vom Nachwuchs als bloßes Stilmittel kopiert.

Inzwischen hat Grcic ein neues Produkt realisiert

... gemeinsam mit dem italienischen Produzenten Plank: ein Barhocker, der als Monoblockstuhl im Spritzgussverfahren produziert wird. Dank der Dreiecksstruktur ist dieser Hocker wesentlich stabiler, als die grazile Erscheinung vermuten lässt. Zudem ist das Thekenmöbel stapelbar, was bei Barhockern bislang nur selten gelungen ist. Zweifellos: Schon wieder hat Grcic eines der Messehighlights entworfen.

Wie auch die Brüder Fernando und Humberto Campana aus Brasilien nun den Sprung zum Serienprodukt geschafft haben. Bislang sorgten sie mit eher antiindustriellen Bastelentwürfen für Aufsehen, kokettierten etwa mit brasilianischem Favela-Schick und scherten sich nur wenig um funktionale Aspekte wie etwa den Sitzkomfort von Stühlen. Umso beachtlicher ist nun der Stuhl Jenette (Hersteller: Edra), dessen Rückenlehne an einen Besen erinnert, weder bequem noch stabil wirkt, aber beides ist. Auch B & B Italia beweist, dass das Designabendland noch nicht im wuchernden Blumen"mehr" untergegangen ist. Naoto Fukasawas, Designer aus Japan, beschert dem Hersteller ein Regal aus Corian, bei dem die x-förmigen Wangen Halt und Steifigkeit besorgen. Hier blinzelt sie noch einmal auf, die Paarung aus Form, Funktion und ästhetischer Reduktion, die gelungenes Design von modischem Opportunismus scheidet. (Knuth Hornbogen/Der Standard/rondo/13/05/2005)