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Die 1940er Jahre. Albert Speer fährt seine Kinder spazieren. Dass er an der Deportation von Juden beteiligt war, der Rüstungsindustrie Zwangsarbeiter schickte und den Ausbau von Auschwitz genehmigte, entzog sich lange der Geschichtsschreibung.

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Berlin - Das "Nachspiel" zu Heinrich Breloers Dreiteiler "Speer und Er" hat die ARD in den späten Abend geschoben (Donnerstag, 23.00 Uhr). Der ORF erspart es sich und dem Publikum ganz. Dabei ist dies der entscheidende Teil. Er behandelt "Die Täuschung", und damit die fünfzehn späten Jahre in Freiheit, während derer Albert Speer, Hitlers Architekt und späterer Rüstungsminister, sich hinter seiner eigenen Legende verschanzte.

Die intellektuelle Elite gab sich in dieser Zeit ihren eigenen Illusionen über den "Engel, der aus der Hölle kam" (Wolf Jobst Siedler) hin. Es war der Journalist und historische Schriftsteller Joachim C. Fest, der beide Facetten dieser Täuschung - die aktive Arbeit Speers an seinem Mythos und die passive Hinnahme von Halb- und Unwahrheiten durch die Öffentlichkeit - unmittelbar erlebte und mitbestimmte. Er wurde in den Sechzigerjahren der Lektor von Speer, der mit seinen Erinnerungen und den Spandauer Tagebüchern internationale Bestseller verfasste.

Diese wurden vielfach wie historische Quellen gelesen. Fest selbst verwendete viele Auskünfte, die er von Speer bekam, für seine 1973 erschienene Hitler-Biografie und auch für eine 1999 publizierte Biografie von Albert Speer. An vielen Stellen dieses Buch fungierte als Quellenangabe der dürre Verweis "Notiz des Verf.". Die meisten dieser Angaben entziehen sich einer genauen Überprüfung, in entscheidenden Fragen aber hat die Geschichtswissenschaft inzwischen die Selbstdarstellung Speers korrigiert.

Er wusste entgegen seiner Beteuerungen von der "Lösung der Judenfrage", seine Mitarbeiter nahmen persönlich Inspektionsreisen in die Lager vor. Paradoxerweise ist es der Fernsehfilm von Heinrich Breloer, in dem wissenschaftliche Forschung und populäre Geschichtsschreibung in ein reflexives Verhältnis zueinander gesetzt werden. In "Speer und Er" werden die Versionen der Wahrheit in Beziehung gesetzt, es entsteht ein dichter Teppich aus Überlieferung und kritischer Überprüfung. Joachim C. Fest fungiert in diesem Zusammenhang als Zeuge und Interpret. Seine über viele Jahre verbindliche Darstellung des "apolitischen" Speer steht zugleich aber auf dem Prüfstand. Die rettungslose Ambivalenz von Fests Position wird erst klar, wenn man in Rechnung stellt, dass er noch 2002 in seinem Buch "Der Untergang" über die letzten Tage im Führerbunker ein stark vereinfachtes Bild von Speer gezeichnet hat, das in der Verfilmung zu einer pathetischen Apologie ausgemalt wurde.

Viele Widersprüche

In einem Akt von intellektueller Vorwärtsverteidigung hat Fest nun pünktlich zum Fernsehfilm seine Aufzeichnungen von den Gesprächen mit Speer veröffentlicht: "Die unbeantwortbaren Fragen" (Rowohlt Verlag) enthält genau die ominösen "Notizen des Verf.", auf die sich Fest in seinen Publikationen berufen hat. Sie erweisen sich als enttäuschend, weil der "vernehmende Lektor" Fest die (Selbst-)Zensur von Speer zwar protokolliert, sie aber nur als Bestätigung seiner bereits getroffenen Charakteranalyse nimmt: "In den Widersprüchen, die sein Leben begleiteten und schließlich ganz und gar beherrschten, hat Speer selber sich so aussichtslos verfangen, dass er im Fortgang der Zeit immer weniger irgendeine halbwegs überzeugende Antwort darauf hatte. Am Ende wurde er sich selbst zum Rätsel."

Die bürgerliche Form der Geschichtsschreibung, wie sie Fest kultiviert hat, fand für dieses Rätsel nicht die richtige Darstellungsweise. Dass nun aber ausgerechnet ein höchst verdichteter, komplizierter Fernsehfilm wie "Speer und Er" selbst zur Form dieses Rätsels wird, ohne noch länger dessen Lösung zu beanspruchen, ist eine Ironie der zur letzten Instanz gewordenen Mediengesellschaft. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 5. 2005)