"Die Nationalstaaten sind höchstens Swimmingpools für die Seele. Was jezt in der EU läuft, ist kein Superstaat, sondern die Entnationalisierung der Nation".

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STANDARD: Herr Grusa, Sie müssten eigentlich auf Österreich recht freundlich blicken . . .?

Grusa: Tu ich auch - das ist schon eine alte Erfahrung aus der Familie, denn erstens ist Österreich das einzige Land, wo es schon einen Grua-Platz gibt, in Wien - in Prag noch nicht -, benannt nach meinem Ururonkel, dem Kardinal und Vorgänger von Schönborn.

STANDARD: Es gibt Leute, die sagen, dass zumindest in Ostösterreich oder in Wien die Hälfte der Bewohner Tschechen sind, die zwar Deutsch sprechen, aber ihre Mentalität nicht abgelegt haben. Kann man das so sagen?

Grusa: Das kann man so sagen, und das war für mich die größte Überraschung, dass es auch Österreicher gibt hinter Wien. Denn man hält bei uns Österreich für das, was irgendwie zwischen Hohenau und Wien liegt und dann irgendwo beim Pühringer endet.

STANDARD: Zur Sicht auf Österreich: Was ist die Essenz des Österreich von heute? ´

Grusa: Die Entprovinzialisierung, die sie schon betreiben. Das Unglück des 19. Jahrhunderts lag in der Übernahme des französischen Begriffs der Nation, das war verheerend für solche Konglomerate wie die Monarchie. Dadurch entstand diese fürchterliche Provinzialisierung aller Völker - nicht nur Österreichs. Diese nationalen Staaten sind in meinen Augen höchstens ein Swimmingpool der Seele. Das wird so bleiben. Nur sie haben nicht die Rolle der Ausschließlichkeit und diesen Messianismus, die anderen zu zwingen, kleiner zu sein. Im Gegenteil, das was jetzt läuft, ist natürlich keinesfalls eine Entstehung eines Superstaates, sondern eine Entnationalisierung des Begriffes der Nation. Und das ist etwas, was man eigentlich mit der alten Monarchie schon haben hätte können.

STANDARD: Ja, aber jetzt haben wir uns gerade mühsam in den letzten 20, 30, 40 Jahren unsere Identität gesichert. Und jetzt wollen Sie uns die Nation wieder wegnehmen.

Grusa: Ich habe 17 Regime in meinem Leben absolviert, davon fünf Staatsformen. Also die Tschechoslowakei, die Föderation, die Trennung von den Slowaken usw. Ein Beispiel: Haben die Slowaken etwas verloren aufgrund der Trennung von uns? Nein. Die Tschechoslowakei funktioniert jetzt am besten: Diejenigen, die uns mögen, die kommen; die uns nicht mögen, bleiben dort usw., und wir haben die kooperative Basis erhalten. Wir haben uns eigentlich nicht verkleinert, denn wir leben in einem Rahmen, in dem alle kleiner geworden sind. Das haben besonders die Franzosen noch nicht begriffen, dass sie auch klein sind. Jeder von uns ist anders klein.

STANDARD: Noch einmal zurück: Können Sie ein oder zwei Beispiele für die österreichische Entprovinzialisierung nennen?

Grusa: Ja zum Beispiel wie man hier mit einem Thomas Bernhard umgeht - das wäre bei uns unmöglich. Zuerst negativ, er hat die Österreicher doch beschimpft, zu unspezifisch zwar, wie auch immer, aber die Art, wie man ihn aufgenommen hat, und letztendlich ehrt, ist neuösterreichisch.

STANDARD: Ein politisches Beispiel vielleicht?

Grusa: Wie Sie etwa die Sanktionen überlebt haben. Das ist eine kluge Sache. Normalerweise hätte man da wesentlich nationalistischer reagieren müssen. Ungeachtet aller Berechtigtheit oder Unberechtigtheit, rein technologisch gesehen: Das war eine Reaktion "nein, wir sind wer" - aber es war eine gemäßigte Reaktion. Die Reaktion der Reife.

STANDARD: Noch ein wirtschaftliches Beispiel?

Grusa: Ich muss laut lachen, wenn man sich die Musterknaben der europäischen Wirtschaft anschaut, die Bundesrepublik, und ihre Unfähigkeit, aus dem Luxusstandard der Ausschließlichkeit auszusteigen, und das ist hier irgendwie geschehen, ohne Weiteres.

STANDARD: Gibt es etwas, das in Österreich stark verbesserungswürdig wäre?

Grusa: [überlegt länger] Fußball! (DER STANDARD, Print, 12.5.2005)