Mit welchen Eindrücken kommen Sie von den Feiern?

Fischer: Ich war bewegt und nachdenklich, auch wenn man mit bedenkt, dass hier in der österreichischen Botschaft vor 50 Jahren die Feiern zum österreichischen Staatsvertrag stattgefunden haben. Mich hat bewegt, dass Präsident Putin gemeinsam mit Staatsvertretern quer über die Kontinente und die politischen Strukturen hinweg vereinigt das Ende des Weltkrieges als positives Ereignis feiert. Natürlich kann man das von verschiedenen Seiten betrachten, aber das wichtigste Element an diesem Tag ist, dass es ein Ausmaß von Frieden und Kooperation gibt, das eben solche Szenen ermöglicht.

Die baltischen Staaten fordern von Russland eine Verurteilung des Hitler-Stalin-Paktes. Wie stehen Sie dazu?

Fischer: Die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga hat mir kürzlich erklärt, wie sensibel das Thema ist und dass auch in Lettland die Positionen geteilt sind. Ich glaube nicht, dass ich mich da mit irgendwelchen Statements in den Disput einschalten sollte. Es ist evident, dass der Hitler-Stalin-Pakt eine schreckliche Sache war. Klar ist auch, dass wir jede Diktatur verurteilen. Ich habe in meiner Rede in Mauthausen darauf hingewiesen, dass es auch nach 1945 Diktatur und Verletzungen von Menschenrechten gegeben hat.

Halten Sie die Sorge gerade der baltischen Staaten vor restaurativen Tendenzen in Russland für begründet?

Fischer: Russland hat natürlich seit Beginn der Perestroika große Fortschritte in der Annäherung an demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen gemacht. Andererseits steht fest, dass die russische Demokratie nicht mit der Westminster-Demokratie vergleichbar ist und ihre Problemzonen und Schwachstellen, die wir übrigens sehr ernst nehmen, hat. Aber wenn ich überall den historischen Faktor berücksichtigen muss, dann muss ich es auch hier tun, nämlich wie das 20. Jahrhundert hier und im Westen unterschiedlich ausgeschaut hat.

Ich bin mir ganz sicher, dass es einen Rückfall in die Zeit vor der Perestroika nicht geben wird. Putin hat ja auch positive Entwicklungen auf seiner Bilanz. Man kann mit den Fortschritten der Demokratie hinsichtlich Tiefe und Tempo manchmal nicht zufrieden sein, aber Putins Position ist eine enorm schwierige Sache. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.5.2005)