Das Campus-Gebäude der FH Joanneum in Graz, errichtet von den Architekten Gonçalo Byrne und Thomas Zinterl. Eine "open door policy" sorgt bei Nacht für Leben.

Foto: GBG/Angelo Kaunat
Mit der zunehmenden Orientierung am amerikanischen Hochschulmodell, das hier zu Lande vor allem in Gestalt der so verheißungsvoll klingenden Titel Bachelor und Master auftritt, hat auch das Wort "Campus" einen neuen Klang bekommen. Der Campus oder eigentlich "Kämpes" ist so amerikanisch wie Hamburger und Coca-Cola, geht aber zurück auf niemand Geringeres als den Präsidenten Thomas Jefferson, der sich nebenbei auch als Architekt betätigte und im Jahr 1817 den Plan der Universität von Charlottesville, Virginia, zu Papier brachte. Jefferson arrangierte die Bauten der Hochschule um eine grüne Wiese und verschaffte der Bibliothek eine herausgehobene Position.

In der Tradition europäischer Bildungseinrichtungen gab es, von den Klöstern des Mittelalters mit ihren Kreuzgängen einmal abgesehen, kein vergleichbares Modell, wie das Lernen räumlich derart großzügig organisiert werden kann. Ein Campus im amerikanischen Sinne bezeichnet aber nicht nur die grüne Mitte, sondern das ganze Bildungsareal, auf dem fast immer auch gewohnt und Sport getrieben wird.

Das Ideal der Bildungsstadt scheitert in Europa meist schon an deren immensem Platzbedarf. Deswegen ist Vorsicht geboten. Nicht überall, wo Campus draufsteht, ist auch Leben drin. Doch es gibt auch Beispiele, wo man sich ernsthaft bemüht, mehr zu tun, als nur einige Lerncontainer abzustellen.

In Krems etwa sind einige Neubauten kurz vor der Fertigstellung, die dem Konglomerat aus Donau-Universität, Fachhochschule und Wohnheimen ein neues Gewicht geben. Zwar kein Platz nach amerikanischem Vorbild, aber immerhin eine Fülle von Freiräumen zwischen den Erweiterungsbauten ist dort am Entstehen. Mit der Filmgalerie, einem Programmkino mit angeschlossenen Ausstellungsflächen, wird sogar eine Institution einziehen, die das Gelände bis in die späten Abendstunden belebt.

Auch in Graz war das Leitbild des Campus für die im vergangenen Herbst eröffnete Erweiterung der Fachhochschule Joanneum ausschlaggebend. Die FH bietet vorwiegend Vollzeitstudiengänge an und verfolgt eine "open door policy", was bedeutet, dass die Studenten das Haus rund um die Uhr betreten können, um etwa in der Nacht noch im Rechner-Pool eine Abgabe vorzubereiten. Mit dem so genannten Campus-Gebäude werden zuvor verstreute Bibliotheken zentralisiert und wichtige Anlaufpunkte wie Mensa und Audimax geschaffen. Die Architekten Gonçalo Byrne und Thomas Zinterl haben auch im Innern des Neubaus großzügige Flächen geschaffen, wo studentisches Leben stattfinden kann. Doch entgegen dem ursprünglich beschlossenen Leitkonzept ist das Campus-Gebäude in Graz vorläufig ein Fragment, weil ihm ein Pendant fehlt, um wirklich einen Platz zu bilden.

Wo ein Gegenüber geplant war, steht bis auf Weiteres eine Montagehalle. Vielleicht gar kein so schlechtes Zeichen, wenn man bedenkt, dass Industrieflächen auch eine Herausforderung für ein eher informelles Wachstum sein können. Ganz in der Nähe entstand in den nicht mehr genutzten Räumen der Reininghaus-Brauerei ein Gründerzentrum. Ob man dazu nun Campus sagt oder vielleicht eher Cluster, ist weniger wichtig als die Synergieeffekte, die entstehen, wenn Bildungsbauten mit anderen Strukturen verwoben werden. (Oliver Elser/DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2005)